Zander, Judith
erschien dir nicht neu. Und vermutlich war es das, vermutlich, nicht
wahr. Er war größer als du. Von Anfang an wart ihr stumme Verhandler. Ihr habt
euch nie betreten. Auch zum Schluss nicht, auch wenn Roland Möllrich kurzzeitig
dieser Illusion aufgesessen sein musste. Der Anfang war das Klarste gewesen,
weshalb du auch die ganze Zeit über nicht als verwirrt zu bezeichnen gewesen
wärest. Beschämt ist etwas anderes.
In den Winterferien war er
hinter dir im Wäldchen, dann vor dir. Du warst beim Reisigsammeln für eure
gefräßigen Öfen, du hattest Peters Aufgaben geerbt, du kamst ihnen nicht ungern
nach. Immerhin etwas. Als Roland Möllrich auf einmal vor dir stand, sich in
seinem Schwarz und Braun kaum abhob von den nassen Erlenstämmen, der Dämmerung
im Wäldchen, und dir eine Handvoll Zweige hinhielt, hattest du nicht das
Gefühl, plötzlich nicht mehr alleine zu sein. Du hattest es stärker als je
zuvor. Vage meintest du ein Mopedgeräusch von einigen Minuten oder Stunden
vorher im Ohr zu haben. Er lächelte dich nicht an. Sein Land ließ keine Fanfare
ertönen. Er hielt dir das Reisig entgegen, lässig, wie etwas, das du verloren
hattest. Du nahmst es ihm nicht ab. Du versuchtest, den Spott in seinen Augen
ausfindig zu machen, so standet ihr. Bis du die sehr brauchbaren Zweige zu
Boden fallen sahst, gegen einen Baum gedrückt wurdest und etwas Unbrauchbares
auf deinem Mund spürtest, das deinem eigenen nicht ganz unähnlich zu sein
schien, auch in seinen Begierden. Du wehrtest dich nicht, du versuchtest
mitzuhalten. Als er fertig war, als die Wärme und die Feuchtigkeit auf deinen
Lippen sich in klamme Kälte zu verwandeln begannen, du wie abgerissen zurückfielst
in den Februarnachmittag, schlugst du ihn ins Gesicht. Du hattest keine
Handschuhe an, das machte dir Mut, auch die Tatsache der Linkshändigkeit, der
Schlag kam von unerwarteter Seite auf ihn zu, traf ihn voll. Aber es war ein
Reflex, untrennbar verbunden mit dem Vorangegangenen, der dritte Akt einer
Tragödie oder Komödie, du wusstest nicht genau, wahrscheinlich hattest du
wieder nicht aufgepasst. Dann schlug er dich zurück, mit der Rechten, wie ein
durch ungutes Eigenleben verzögertes Spiegelbild, auch ins Gesicht, und du
wundertest dich, warum er auf dem Moped keine Handschuhe trug. Kein Klaps, er
hatte dich geohrfeigt, wie man eine Frau ohrfeigt, bestraft. Du heultest
nicht, du sahst ihn nur an, ihm in die Augen, dieses eine Mal. Kein anderer
hätte zurückgeschlagen, dessen warst du dir sicher, jedenfalls nicht aus
demselben Grund. Du warst zufrieden. Er hatte dich bestraft für diese Dummheit,
für die Dummheit all der anderen dummen Gänse, deren Geschnatter und
Flügelschlagen nur dem einzigen Zweck diente, Roland den Fuchs anzulocken.
Roland der Fuchs schnappte sie sich aus Überdruss. Und du schämtest dich. Nicht
für Brigitte, nicht für Christa oder Bärbel, so etwas war dir unbekannt. Du
warst keine Gans. Es war schlimmer. Du träumtest Artfremdes, Beschämendes,
Zähne, die sich in deinen Hals bohrten, dein Bett eine Sickergrube für Rinnsale
aus warmem Blut, ein dunkles, ein großes Tier über dir. Tagsüber gelang es dir,
deine Beschämung in Ärger zu verwandeln, das konnte doch nicht wahr sein. Es
war dir peinlich vor dir selbst, dass dir dies nachts nicht glückte, du dir
immer weniger Mühe gabst. Es dämmerte, als Roland Möllrich vor dir stand, du
konntest ihn kaum noch erkennen.
Dabei blieb es. Er drehte sich
um, verschwand aus dem Wäldchen, du hörtest sein Moped anspringen. Du hobst
die Zweige zu deinen Füßen auf, warfst sie zu den anderen in den Korb und
gingst nach Hause. Nach den Ferien sah er dich nicht an. Du wusstest, es würde
nicht dabei bleiben. Ein paar Tage später fandest du den ersten Zettel in
deiner Mappe. Eine hastig hingeschmierte Bengelhandschrift. Die Botschaft
schien gar nicht dich zu meinen, wie alle weiteren auch, es beruhigte dich
irgendwie. H eute A bend an der K uhkoppel . Darunter, größer, das Menetekel. R.M. Es gefiel dir
nicht. Es verdiente dein Misstrauen, du glaubtest nicht, dass eine
Fremdbezeichnung eine Eigenbezeichnung werden könne, das wäre dir nie
eingefallen. Aber ein paar Stunden später warst du da, und er war auch da, und
du staunst höchstens darüber, dass es eine Zeit gab, in der du genau wusstest,
was >heute Abend< bedeutet.
Natürlich war er dein Erster.
Wer sonst. Das hatte nichts mit Romantik zu tun. Natürlich wusste er das.
Ersteres. Es tat weh, unverhofft
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