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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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nach Hause!
Fräulein Hanske. Schlaf deinen Rausch aus!«
    Diesen jämmerlichen Zustand
als Rausch zu bezeichnen, stellte nur die übliche und dir schon vertraute
Verkennung von Tatsachen dar. Aber anzunehmen, du könntest etwa schlafen,
könntest etwa überhaupt noch schlafen in diesen Wochen, kam einer Verleumdung
gleich. Es schien dir allzu schwer, etwas zu unternehmen dagegen, das Gegenteil
von etwas zu beweisen, was es gar nicht gab. Aber genau das musstest du jetzt
tun. Du musstest etwas beenden, das niemals angefangen hatte.
    »Es ist vorbei. Schluss, aus,
finito!« Mehr fiel dir nicht ein.
    »Was ist vorbei? - Der Erste
Mai?« Sein Lachen war ein Applaus, jedes Mal. Er wusste, dass er witzig sein
konnte. »Na son Schiet!«
    Als hättest du doch deinen
Text vergessen. So standest du da. Erst jetzt kommt dir der Gedanke, es könnte
eine Regung des Mitleids gewesen sein, die ihn dazu veranlasste, seine Hand
fest um deinen Nacken zu legen und sie, als er dich zu sich herangezogen
hatte, hinabgleiten und nach deinen Brüsten fassen zu lassen. Um dich Stümperin
von der Bühne zu nehmen. »Na komm schon her.«
    Du wünschtest, alle deine
Formen würden augenblicklich erstarren, kalt und feindlich werden wie Eis und
nicht weiterhin so einladend an dir haften, so missverständlich pulsierend. Du
wünschtest, seine Hand würde bei der Berührung ebenso erstarren, diese
Kältestarre würde sie ganz von allein von dir abfallen lassen, seinen rechten
Arm heraufkriechen und sein Herz, das du dir bei ihm stets nur rechts sitzend
und trotz seiner Statur nicht größer als eine vorjährige Walnuss denken
konntest, einfach aussetzen lassen. Stattdessen sahst du dich gezwungen, diese
Hand wegzudrücken, deinen Mund zu offen, unwillig wie beim Zahnarzt, und etwas
dir Abgepresstes, Dümmliches zu sagen. »Verdammt, ich will nicht mehr mit dir
- ich will nicht mehr mit dir ins Bett, und auch sonst nix, kapiert?«
    »Und auch sonst nix!« Seine
Stimme wurde rauer. Wenigstens etwas. »Was denn? Denkste, ich wollt dich
heiraten, oder was? Und außerdem, welches Bett denn, ha!«
    Das stimmte. Eine Wiese war
kein Bett. Eine Haut war keine Decke. Ein Roland Möllrich war kein Umgang. Du
stießt ihn mit aller Kraft weg, wie man ein Tor aufstößt, du wolltest durch, an
ihm vorbei, aber das Tor erwies sich als viel leichter als gedacht, ein bloßes
Hofgatter, das zurückfederte. Ein Roland Möllrich ließ sich nichts gefallen. Er
schubste dich einfach um, du warst verwundert, wie einfach das ging, wie
einfach das immer noch ging, wie früher Klaus Börner, der aber ein feiger Hund
gewesen war, und es deines Wissens immer noch war, und der sich nur von hinten
an dich herangetraut hatte. Dein Hacken stieß an einen Graswulst, und schon
kipptest du, schon landetest du mit dem Steiß auf einer Wurzel, schon blieb dir
die Luft weg, und schon war es über dir, das Tier, und sagte: »Na das wolln wir
doch mal sehn!«
    Er riss deine Hose auf, die
mit der unsichtbaren Druckknopfleiste, auf die du stolz warst. Du sahst ein,
dass man immer auf die falschen Dinge stolz ist, für einen Reißverschluss hätte
er vielleicht beide Hände gebraucht, und dann hättest du mit beiden Armen auf
ihn einschlagen können. Zwar warst du froh, wenigstens keinen Rock anzuhaben,
aber auch überrascht, dass das überhaupt keinen Unterschied machte. Fast
bewundertest du seine Geschicklichkeit, du fragtest dich, ob er Übung darin
hätte. Es schien dir schon da unfassbar, wie er dich so leicht hatte
überwältigen können, wie er dich, durch pure Willenskraft, in einer
unabänderlichen Lage halten konnte. Was war mit deiner Willenskraft? Vielleicht
warst du einfach nicht die Unschuld in Person. Vielleicht dachtest du, in fünf
Minuten ist alles vorbei. Er zwängte sich zwischen deine Beine, er zwängte ihn
dir rein, du wärest gern ein Schraubstock gewesen. Mit der einen Hand drückte
er dich runter, mit der anderen hielt er dir den Mund zu, als hättest du erst
jetzt einen Grund zum Schreien. Dir war auch jetzt nicht nach Schreien, oft
dachtest du, das Schicksal einer Stummen wäre für dich kein schweres gewesen.
    Es tat weh, alles tat dir weh,
von Betäubung konnte keine Rede sein, du standest nicht unter Schock. Du
fasstest klare Gedanken, zum Beispiel: Dein Bruder aus dem Nichts verriet dich.
Du sahst nach oben, in die schwarzen Kronen der Bäume, die einfach nicht
aufhörten, die unablösbar mit dem schwarzen Himmel verbunden wirkten, an Sterne
kannst du dich

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