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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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kaufte, wofür man ganz früh
aufstehen musste und mit dem ersten Bus in die Stadt fahren, aber du wolltest
mit. Auf der Hinfahrt hast du das Wort geübt und hast immer wieder
»Breitscheidplatz« geflüstert, schnell hintereinander, wie ein Zungenbrecher,
das konntest du schon gut, und es entstand eine lange Kette, so lang wie die
Busfahrt, die hast du dir vielfach umgelegt, und wenn ihr fast da wart, wenn
du ihn schon sehen konntest, den Breitscheidplatz, den Zeitungskiosk, konntest
du kaum noch atmen. Und wenn es noch B ummi oder F rösi gab, dann hast du eins
gekriegt. Und jedes Mal hast du deinen Hals gereckt und versucht, in dieses
vollgestopfte Häuschen hineinzuspähen, dein dringlichster Wunsch blieb es,
einmal hineinzukommen, aber die Verkäuferin dadrin war nicht nett. Deshalb
musste es doch Peter übernehmen. Er hätte dich reingelassen, später hättest du
als Erste ein neues leben gekriegt oder er hätte es dir zurückgelegt, was
hättest du mehr gewollt damals, du hättest ihm helfen können, in den Ferien,
wenn du nicht wusstest, wohin mit dir.
    Peter hätte dir nicht helfen
können. Du hättest ihm nichts erzählt. Dir war wenig peinlich, Gelegenheiten,
sich zu blamieren, hat man nur vor Publikum, das hattest du selten. In der
Schule machtest du einfach, was von dir verlangt wurde, oder du machtest es
nicht, aber beides so ambitionslos, dass es kein Interesse weckte. Du wusstest,
dass über dich getuschelt wurde, es wunderte dich ein bisschen, denn du
hattest kein Geheimnis. Geheimnisse wurden erfunden, Geschichten, auch über
dich und Peter. Für die Jungs existiertest du gar nicht. Das ist nicht richtig.
Sie nahmen dich wahr als eine Tatsache, eine Tatsache am anderen Ende der
Welt, mit der sie sich nicht beschäftigen mussten, als eine Feststellung, der
nichts hinzuzufügen war. Dem kleinen Hartmut hattest du etwas angemerkt, eine
Beschäftigung. Aber anfangen konntest du nichts mit ihm. Er sah dich an, und
das war hilfreich, denn so wusstest du, wie du seinen Leitstern nicht ansehen
durftest.
    Dein Körper war dir nicht
peinlich, die sich ausmodellierenden Formen, er war nun mal dein Körper, einen
anderen gabs nicht, und du konntest nichts Schlechtes an ihm finden. Als du
dich ohne Bedenken in der Umkleidekabine vor den anderen Mädchen auszogst, hieß
es, du stelltest dich zur Schau. Du trugst keine Miniröcke, erst spät einen BH,
du wolltest keine Taschentücher und Socken als Ballast. Du warst vollständig.
    Peter fehlte dir, die
schläfrigen Gespräche mit ihm, schläfrig auch und besonders am Nachmittag, wenn
ihr im Weizen lagt oder in der dumpfen Hitze des Dachbodens, du hörtest ihm zu
und musstest nicht viel erzählen, das wenige, was es gab, reichte aus, auch
durch eure langen Nächte hindurch. Die Peinlichkeiten konntest du für dich
behalten, sie in dir verteilen wie Dinge ohne feste Form. Du kriegst sie nicht
mehr zusammen, findest nicht einmal Silben. Das scheint dir ein Beweis für die
Richtigkeit deiner Methode zu sein. Der Erinnerung vorzubeugen. Es gibt nur
diese eine Ausnahme. Vielleicht, weil du die Versuchung schon wie die Wärme
eines anderen Körpers nahe deiner Haut spürtest, versucht warst, doch Worte für
Peter zusammenzusetzen, ein paar kurze, böse Sätze, um sie Peters Sprache
hinzuzufügen. Vielleicht, weil es sich gar nicht um eine Peinlichkeit handelte,
vielleicht, weil du das auch Peter weismachen wolltest. Vielleicht, weil du
hofftest, er würde es dir weismachen. Und heilfroh konntest du sein, dass er
während dieser ganzen unaussprechlichen Zeit nur ein einziges Mal nach Hause
kam, und nur um zu verkünden, es werde zu einer Heirat kommen im Frühjahr, und
diese Nachricht das ganze Wochenende und auch die Nachtstunden ausfüllte.
    R.M. Sie sprangen dich überall
an, in die Bank geritzt, mit einem gemopsten Fitzelchen Kreide an eine Wand
geschmiert, in den grauen Sand auf dem Schulhof gezogen, diese Initialen, ein
Menetekel. Oft auch ausgeschrieben, dieser Name, an den du dich nie gewöhnen
konntest. Roland. Er klang auch nach einem Ort, nach einem Ort nicht halb so
interessant wie »Jenseits«. Nichts zog dich dorthin. Er kam dir unbehaust vor,
baumlos, eine Mondlandschaft, und beinahe hätte dich gerade das gereizt,
hättest du nicht in jeder Faser den Verdacht gehabt, dass der Ort Roland sehr
wohl bewohnt sei, von einem einzigen Bewohner, der alles, jedes Staubkorn in
diesem Land durchsetzte, der Eindringlinge niemals dulden würde. Ein solcher
Ort aber

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