Zander, Judith
dass die Werkstatt auch nicht so schlimm war,
bei die Bekloppten. »Ich wollt das doch nich«, hat er gesagt, und dann musste
er richtig heulen musste er richtig, aber nur ganz kurz. Weil der dann seinen
Arm angefasst hat und dann gesagt hat, dass er das weiß. »Ich weiß«, hat der
gesagt.
»Du weißt das? Woher weißt du
denn das?«
Der hat mit den Schultern
gezuckt. »Na ja, ich kann mir das nicht vorstellen. Dass du das ... wie sagt
man ...«
»Doch«, hat er gesagt, »doch,
das stimmt. Ich hab das gemacht. Aber nich mit Absicht!«
»Ja«, hat der gesagt, »das
ist, was ich sagen wollte: nicht mit Absicht. Ich weiß das.«
Der weiß das! Siehste. Und die
Polizei wusste das nicht, die hat gedacht, er hat das mit Absicht gemacht, die
blöde Kackpolizei. Und Onkel Peter denkt das auch, und alle denken das, die
alle in Bresekow, Stefan und die, und keiner kommt und holt ihn hier raus, und
Oma auch nicht. Sie kann doch nicht. Sie kann doch nicht herkommen.
Und den Zettel hat er immer
noch in seiner Hosentasche, den hat er schon ganz zusammengerollt, ganz
klitzeklein, damit den keiner findet. Wo den seine Adresse draufsteht. Bloß er
kann das nicht richtig lesen kann er doch nicht. Aber er hat das nicht gesagt.
Damit der ihm doch einen Brief schreibt, »einen ganz langen«, hat er gesagt,
dass er so einen will, »hundert Seiten«. Und der hat gelacht, aber der hat das
versprochen. Versprochen ist versprochen. Und der hat gesagt, dass er ihr das
sagt. Dass er hier war, zwar nicht gleich, aber nachher, irgendwann denn, dass
er hier war. »Oma?«, hat er gefragt.
»Nein«, hat der gesagt und ihn
ganz komisch angeguckt. »Ingrid.«
Und dann ist er ganz dicht an
ihn rangekommen und hat ihn gedrückt, so wie Oma manchmal. Aber Oma ist das
doch nicht. Ingrid. Oma heißt Anna mit Vornamen, das weiß er, das weiß er ganz
genau. Zufälligerweise, ja.
Er darf jetzt nie mehr
schlafen. Weil doch hier kein Meer ist, er vergisst das sonst.
JOHN & PAUL
W ir hätten
es gemütlich bei S turm
I n unserem
kleinen V ersteck unter den W ellen
Wo wir unseren K opf auf die S eekissen
legen
I n einem T intenfischgarten
nahe einer H öhle
W ir würden
singen und herumtanzen
W eil wir
wissen, wir können nicht gefunden werden
W ir wären so
glücklich du und ich
K einer da
der uns sagt was wir machen sollen
I ch wäre
gerne unter dem M eer
I n einem T intenfischgarten
mit dir
MARIA
Dass das alles immer ganz
anders kommt, wie man denkt. Das hatt ich ja schon beizeiten gemerkt. Aber dass
das nu immer auch nich stimmt. Manchmal dacht ich, das muss doch nu noch mal
anders kommen. Manchmal hatt ich mir bei eine Sache das Schlimmste vorgestellt,
was passieren könnt, und ich hatt denn auch tüchtig Schiss dabei, weil
vorstellen könnt ich mir immer alles gut, bis ich heulen musst manchmal, aber
gemacht hab ich das bloß, damit das denn nich passiert. Ich dacht, das passiert
denn nich. Das hatt ich schon immer, das war schon immer so meine Methode. Schon
als ganz lüttes Kind, wenn ich wieder was nich aufessen wollt, wenn ich das
nich runterkriegte, und meine Mutter mir das auch nich reingestoppt kriegte,
ich hab das denn wieder ausgespuckt. Und wenn sie denn sagte, meine Mutter,
dass sie das mein Vater sagen wollt, wenn er abends kommt. Da hab ich mir das
denn vorgestellt, den ganzen langen Nachmittag lang, wie er kommt und wie sie
ihm das sagt und wie er denn ruft: Maria! und wie ich denn zu ihm muss und wie
ich meine Schuhe ausziehen muss und mich vor ihn hinstellen, wie er da so sitzt
auf dem Küchenstuhl und wie er mir denn mit seine schweren Stiefel auf die Füße
tritt und meine Füße einquetscht, dass ich nicht weglaufen kann. Und wie er
denn ausholt und mir Backpfeifen gibt, links eine und rechts eine, immer links
und rechts, aber nich mehr, und wie ich denn fast umfall, aber ich kann ja
nich. Und wie er denn mein Kinn mit seiner schwieligen Hand zusammendrückt und
hochzieht und sagt, »kiek mi an, kiekst du mi woohl an«, und wie ich ihn
angucken muss, auch wenn ich gar nix mehr sehen kann vor Tränen. »Dat mi dat
nich noch eis vörkümmt!« Und ich musst mir das immer wieder vorstellen, und
manchmal is das denn gar nich passiert. Aber manchmal doch.
Na, mit dem Runterkriegen war
das denn später nich mehr so ein Problem, wo das denn erst mal wieder genug zu
essen gab, und das hat ja noch lange gedauert, bis das mit die Marken vorbei
war, aber wo man denn wieder einigermaßen was kaufen
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