Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
Vom Netzwerk:
nicht zu sagen raffiniert angestellt, was dich damals
mit unbändigem Stolz erfüllte: Du bewundertest ihn dafür, dass er nur die
Bücher ausgesucht hatte, die aller Wahrscheinlichkeit nach niemand außer ihm
auslieh. An den Schnittkanten mit schwarzen Punkten wie mit Altersflecken
übersäte Romane; ein halb zerfallenes Schmetterlingsbestimmungsbuch, in dem
dich vor allem die Abbildungen der Raupen in ihren Bann schlugen, solche
hattest du hier noch nie gesehen; Liederbücher in Fraktur, deren Noten er auf
einer selbstgeschnitzten Flöte zu spielen versuchte, ohne dass er sie lesen
konnte, er orientierte sich lediglich an Höhen und Längen und bastelte daraus
eine Melodie zurecht, die ihm tauglich erschien. Er brachte dir den Text dazu
bei, und du sangst ihn mit deiner kleinen Reibeisenstimme. Manchmal sang Peter
auch selber, und die Wörter liefen ihm ohne Stolpern dahin, wurden ein einziges
Wort. Dein Kopf war voll von diesen wunderlichen Zeilen, deren Sinn sich dir
nur in kleinen Bröckchen erschloss, die du nichtsdestoweniger gierig
schlucktest. Vielleicht war das ja Peters Sprache.
    Außerdem hatte er die Bücher
nicht einfach nicht zurückgegeben. Sondern sie zuerst ausgeliehen und
rechtzeitig, oft sogar weit vor Ende der Ausleihfrist, zurückgebracht, um sie
dann erst bei einem weiteren Besuch, von der dösenden oder jäckchenstrickenden
Bibliothekarin unbemerkt, in seine Tasche gleiten oder aus dem vorsichtig
geöffneten Fenster ins weiche Gras fallen zu lassen. Diese Methode schlug zwei
Fliegen mit einer Klappe: Er konnte so beim ersten Mal den Inhalt des Buches
auf lohnenswert oder nicht prüfen, und später, sollte das Buch tatsächlich
vermisst werden, würde der Verdacht nicht auf ihn fallen, denn er hatte es ja
zurückgegeben, woran sich Fräulein Kunatsch doch bestimmt noch erinnerte, er
hätte doch noch gesagt, wie »1-1-langweilig« er es gefunden hätte.
    Wie sie dann trotzdem auf ihn
gekommen sind, wer weiß, vielleicht der untrügliche Instinkt der Gemeinschaft
gegenüber jedem Element des Fremden, fest stand jedenfalls, dass es niemand
anders als Peter Hanske gewesen sei, auch wenn man ihm nichts beweisen konnte,
was ihm zusätzlich ungünstig ausgelegt wurde und worauf Peter Hanske auf immer
der Dorfbibliothek fernzubleiben hatte. Aber Anna Hanske hatte niemanden in
ihr Haus gelassen, Fräulein Kunatsch nicht und nicht Bürgermeister Möllrich,
sie kenne schließlich ihr Haus vom Keller bis unters Dach und auch das Zimmer
ihres Sohnes, und ein Stapel Bücher wäre ihr da nicht unverborgen geblieben,
und niemals hätte sie ihrem Sohn eine solche Tat gegen das Wohl der Gemeinde
durchgehen lassen, aber falls etwa Zweifel an der Wahrhaftigkeit ihrer Worte
bestehen sollten, möge man doch bitte die Volkspolizei alarmieren. Das mochte
man denn aber doch nicht. Und Anna Hanske sagte zu ihrem Sohn Peter: »Wenn du
nich willst, dass ich unter deinem Bett aufräum, dann mach du das und bau dir
dafür ein Regal. Und wenn einer kommt und sagt, er will was zum Lesen, und dich
nach einem Buch fragt, das dir bekannt vorkommt, weils auf deinem Regal steht,
dann hol das da runter und drücks ihm in die Hand und sag nich, wann ers wiederbringen
soll.«
    Du hast doch viel gelernt
damals. Und abends im Dunkeln, wenn ihr im Bett lagt, das Licht schon längst
aus war, breitete Peter seine neuesten Schätze vor dir aus, er fragte immer:
»K-kennst du d-d-das Wort...«, und dann kam irgendwas, was du noch nie gehört
hattest, und er erklärte dir, was es bedeutet, und wenn er sich erst eingeredet
hatte, dann war das Stottern auf einmal weg, und manchmal ließ er dich vorher
auch raten und hörte deine Mutmaßungen sehr ernsthaft an und lachte nur ein bisschen.
Und das vermischte sich mit den Mäusegeräuschen, du lauschtest auf ihr
entzücktes Quieksen und wie sie sich die winzigen eingetrockneten Käse- oder
Speckstückchen aus den entschärften Fallen holten.
    Einmal sagte Peter: »W-w-weißt
du, was >Jenseits< ha-ha-heißt?«, und du wusstest es nicht, aber du
konntest an seiner Stimme hören, dass es kein neues Wort war, dass es eines
war, das er längst kannte und das er sich aufgespart hatte, weil es ein
besonderes sein musste.
    »Was heißt denn das, Peter?«,
hast du geflüstert, automatisch, fast gänsehäutig, denn es schien eins von den
Dingen zu sein, die man wissen und nicht wissen will zugleich, oder ganz kurz
wissen und wieder vergessen, dieses aber vergaßt du nie mehr.
    »Na, z-zum Beispiel könnte

Weitere Kostenlose Bücher