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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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Hinweis auf dich, ihre Übersichtlichkeit erleichterte dich;
kein Hinweis auf die Zeiten, in denen der dunkle hölzerne Leib dich verborgen
gehalten hatte und die Rufe Peters oder deiner Mutter nur gedämpft zu dir
gedrungen waren, keine Spur deines heißen Atems, deiner schwitzigen Finger und
der aufregenden Vorstellung, dass du diesmal den schweren Deckel vielleicht
nicht mehr aufbekämst.
    Und auch von dem, was du
damals zurückgelassen hast, ist alles verschwunden. Tatsächlich, alles. Und
das wusstest du vorher, denn sonst wärst du nicht hierher gekommen, nicht wahr.
Denn tatsächlich hast du alles damals zurückgelassen, nicht wahr, das war es
doch, was du dir sagtest, dass du alles zurücklassen musstest, nicht wahr, und
du sagtest dir, dass du es deiner Mutter dalassen würdest, denn besser bei ihr
als bei dir, nicht wahr, und besser das als du. Nicht wahr, gar nicht wahr,
denkst du, nein. Und doch geschah alles nach deinem Willen, aber geschehen
konnte es doch nur mit ihrer Hilfe. Und du merktest das nicht mal, noch nicht
mal, als du jenseits der Grenze warst und ihr Satz in deinem Kopf zitterte:
»Das Beste ist nich immer das Bequemste.«
    Und von da an hast du ihn dir
immer wieder vorgesagt, so oft, dass er fast zu deinem eigenen Satz wurde, und
du hast gar nicht gemerkt, wie er sich mit den jähren langsam umgedreht hat,
bis du dich nicht mehr weiter an seinem Schwanzende festklammern konntest, bis
er dir sein Maul mit den Reihen kleiner spitziger Zähne gezeigt hat und du ihn
endlich richtig herum zu lesen glaubtest. »Das Bequemste ...« Aber es stimmte
doch nicht. Du kannst ihn jetzt zurückhaben, deinen Satz, Anna Hanske, denn er
stimmt hinten und vorne nicht. Aber sollte mich wundern, wenn du das nicht
gewusst hättest.
    Der kleine Fotoapparat war
nicht deiner gewesen, schon gar nicht Peters, so was gab es doch damals noch
gar nicht, so ein Ding mit gelber Plastikverblendung, für Kassettenfilme, und
heute nicht mehr. Es lag kein Film darin, nur die leere Kassette, zum Glück.
Ein nutzloses, putziges Objekt, das du beinah zwischen deinen Händen
verschwinden lassen kannst, wie in einem rückwärts ablaufenden Film, eine harte
gelbe Nuss, die nach und nach die Bruchstücke ihrer Schale wieder umschließen.
Dann hältst du ihn vor deinen Bauch und drückst auf den Auslöser, wieder und
wieder und immer rascher, dazwischen drehst du das Rädchen für den
Filmtransport weiter, immer weiter, klick und ratsch und klick und ratsch, es
stellt sich ein Rhythmus ein, der dir fast Spaß macht, dreißig Aufnahmen der
dunklen Dielen, die vielleicht etwas über das unmerkliche Vergehen der Zeit aussagen
könnten. Das Nichtvergehen.
    »What's that?«, fragt Paul,
und du zeigst ihm dein nasses Gesicht und sagst: »Nothing.«
    Beim Abendbrot sagst du
nichts. Dir rutscht das Glas aus der Hand, du hebst es nicht auf, die
Tischdecke sieht aus wie ein vollgepinkeltes Laken, Michael und Paul sehen dich
an.
    »Stop getting on my mind,
my alarm clock, my cookie, my balls !« Michael und Paul sehen dich an.
     
    JOHN
     
    Mutter du
hattest mich aber ich
    ich wollte
dich aber du wolltest
    also muss
ich dir sagen
    leb wohl
leb wohl
     
    Vater du
verliesst mich aber ich verliess niemals dich
    ich
brauchte dich aber du brauchtest mich nicht
    also muss
ich dir sagen
    leb wohl
leb wohl
     
    Kinder
macht nicht was ich gemacht habe
    ich konnte
nicht gehen und ich versuchte zu laufen
    also muss
ich euch sagen
    lebt wohl
lebt wohl
     
    Mama geh
nicht
    Papa komm
nach Hause
     
    ELLA
     
    »Das ist bestimmt deine
Freundin«, sagt Paul, er hat das Klopfen auch gehört.
    »Sie ist nicht meine
Freundin!« Ist mir jetzt wieder so rausgerutscht. Paul grinst. »Aber bald.«
    Was soll das denn heißen? Ist
er Hellseher oder was. Ganz geheuer ist er mir sowieso nicht, da war die Idee,
Romy anzurufen, gar nicht mal so übel.
    Sie ist das übrigens wirklich.
Wieso klingelt die nicht wie jeder normale Mensch. Braucht wieder mal ne
Extrawurst. Ich mach die Tür auf, und Romy lächelt, als wenn sie sich nun
gleich entschuldigen will. Ich muss auch lächeln auf einmal, und Paul guckt
mit genausonem Lächeln erst Romy an und dann mich und dann wieder Romy.
    »Komm rein«, sage ich schlussendlich,
damit hier heut noch was passiert. Aber kaum hab ich die Tür zu, bleibt die
schon wieder stehen, die Jacke halb an, halb aus, und starrt die alten Platten
an.
    Vati hat die vorhin auf den
Flur gestellt, für den An- und Verkauf. Seit sie sowieso alles auf

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