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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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ich
sagen: m-m-m- m-m-meine M-mutter, du weißt schon, meine rr-richtige, sie ist im
Jenseits.«
    »Wirklich?«, fragtest du, denn
du hattest gedacht, diese wirkliche Mutter sei tot, irgendwie wegen des
Krieges, von dem sie dir erzählt hatten, jedenfalls hatten sie dich dann wohl
angelogen, wie immer, als sie gesagt hatten, Peters Mutter sei tot.
    »Ja«, sagte Peter, »das
w-weißt du doch.«
    Und du sagtest nichts mehr und
nicktest bloß, obwohl Peter das im Dunkeln ja gar nicht sehen konnte. Er sollte
ja nun nicht denken, dass du jemals daran geglaubt hattest, was sie dir so erzählt
hatten. Peters Mutter war im Jenseits, im Jenseits, das war ja mal eine gute
Nachricht. Vor Aufregung und Geheimnisschwere konntest du zuerst gar nicht in
den Schlaf finden, seltsam milchige Bilder flimmerten in deinem Kopf.
Vergeblich versuchtest du drüberzuwischen, wie über die beschlagenen
Küchenfenster, und das war dir Bestätigung genug, dass dahinter mehr zu sehen
sein müsste als euer Hof und das hellgraue Stückchen Dorfstraße und der
abgebrannte schwarze Dachstuhl der Schnitterkaserne neben dem Friedhof, und
immerzu dachtest du nur: da würdest du hinfahren, irgendwann, bald.

Und du seufztest, weil du
ahntest, dass es für dich noch lange dauern würde, bis man dich dorthin ließe,
so lang wie die Schule mindestens, und du hattest kaum angefangen, und
vielleicht würdest du ausreißen müssen, wovon du keine andere Vorstellung
hattest als das Beispiel des armen Georg, und den hatten sie nach fünf Tagen
»fast ganz nackig« und an einen Baum gebunden im Wald gefunden, und dabei war
er schon vierzehn Jahre. Und sein Fahrrad war weg und sein Tornister und seine
Jacke und seine Hose, und das hatten die Soldaten mitgenommen, die er nicht
verstanden hatte, weil sie russisch gesprochen hatten, aber das durfte man nicht
sagen, aber auch >Sowjetmenschen< durfte man in diesem Fall nicht sagen,
denn in Wirklichkeit waren es ja »verbrecherisch als Soldaten der Roten Armee
verkleidete« ganz normale »asoziale Elemente« gewesen.
    »D-das heißt >Räuber<«,
hatte Peter zu dir gesagt und dabei gegrinst, aber du wusstest nicht, was es
dabei zu grinsen gab. Georg musste dann nicht zurück zu seinem Prügel-Onkel, er
musste dann in ein Kinderheim. Und danach sagten sie, dass sowieso alle Kinder,
die ausreißen, ins Heim gesteckt werden, ob Prügel-Onkel oder nicht.
    Doch vielleicht dürfte Peter
eher dorthin, nach Jenseits, zweifellos hatte ihn seine Mutter nur nicht
mitgenommen, weil er noch nicht alt genug dafür war, aber er war immerhin neun
Jahre älter als du, und er würde dich vielleicht mitnehmen, er würde dich doch
nicht alleine hier lassen, nicht Peter. Oder war es am Ende genauso
unwahrscheinlich und geradezu entsetzlich unmöglich, dass Peter zu seiner
Mutter fuhr, wie dass man dich zu deinem Vater reisen ließe?
    »Das schlag dir man ausm
Kopf«, hatte deine Mutter gesagt und mehr nicht. Und etwas in der Art, wie sie
sich von dir wegdrehte, wie sie hastig den Deckel vom Kochtopf nahm, ihn
scheppernd danebenwarf und sich auf die heißen Finger pustete, wie sie die
Kelle schnappte und den Wrukeneintopf durchwühlte, hielt dich davon ab, auch
nur eine weitere Frage zu stellen, schon gar keine mit >warum<. Das
hattest du dir sowieso bald abgewöhnt, zumindest bei deiner Mutter, und zwar
gerade weil sie dir jedesmal Antworten darauf gab. Sie sagte: »Was soll ich dir
was vorschwindeln«, und dann kam eine lange komplizierte Antwort, und du
glaubtest, du musstest immer so tun, als ob du alles verstündest. Sie prüfte
dich aber nie. Oder sie sagte gleich, dass sie das auch nicht wüsste, was aber so
selten vorkam, dass du fast darauf zu hoffen begannst. Es war eine Abkürzung,
auch eine zu deiner Mutter, sie zog dich damit an sich heran, oder war es
umgekehrt, sie wusste es also auch nicht. Sie wusste es also auch nicht, warum
dein Vater im Westen war und was er dort so machte. Aber sie sagte dir, dass
das kein Anlass sei, herumzulaufen und damit anzugeben, worauf du natürlich
auch nie gekommen wärst. Ihr kämt ja auch ganz gut ohne ihn aus. Du konntest
dir ohnehin nicht vorstellen, wie ein Noch-besser-Auskommen hätte aussehen
sollen, du wusstest, dass ihr besser dran wart als die meisten im Dorf, sonst
würden sie dich ja nicht ständig ärgern, denn die waren ja bloß neidisch. Aber
du warst nicht neidisch, schon gar nicht auf ihre Väter, du hattest ja auch
einen, und zwar im Westen, und er konnte dir gar nichts, er

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