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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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konnte dich nicht
zum Kartoffelstoppeln schicken oder nach Karnickelfutter, und deine Mutter
sagte, ihr hättet selber genug Kartoffeln, und ihr hattet keine Karnickel, »wer
soll die denn schlachten«.
    Nur dass man ihn nicht mal
besuchen konnte. »Das soll man nich«, sagte deine Mutter, »das soll man nich,
weil die Deutsche Demokratische Republik Angst hat. Nämlich Angst um ihre Bürger,
aber die heißen jetzt glaub ich auch anders, dass nämlich ihren armen Bürgern
im Westen was passiert, denn das ist ja gefährlich, so alleine in der
Weltgeschichte rumzuspaziern, und dann verlaufen die sich da vielleicht, weil
die sich ja da nich auskennen, und da steht auch kein Schild, wo sie
langmüssen, und dann kommen sie nich mehr wieder. Und dann war sie traurig,
unsere Republik. So wie Georgs Onkel, davon hast du doch gehört, wie der
traurig war, als Georg ausgerissen ist.« Du hattest aber bloß gehört, dass
Georgs Onkel gesagt hatte: »Dän Mistbengel, den schloog'k dot, wenn dei mi
noch eis unner de Ogen kümmt!«, aber dann hatten sie ihn ja ins Heim gesteckt.
    Am nächsten Morgen fragtest du
Peter, ob Jenseits so etwas Ähnliches sei wie der Westen. Peter lachte auf und sagte:
»Tja, k-k-kann man wohl so sagen. J-jedenfalls weiß k-keiner was G-genaues
drüber.« Das kam dir auch so vor.
    Wo Peters Vater war, wusste
auch keiner. »Vielleicht hast du gar keinen«, sagtest du zu ihm, und weil er
dich dann so anguckte, versuchtest du es mit deinem Trost, der eigentlich nur
für dich war und dich zu der Zeit wie ein kleiner fester Panzer umgab: »Macht
doch nix!« Machte doch nix, als du auf die Betonplatte fielst und dir das Knie
aufschlugst, machte doch nix, dass Klaus Börner dich hingeschubst hatte, machte
doch nix, dass deine Mutter dich rausgescheucht hatte, nachdem du den ganzen
Vormittag in deinem Zimmer eingeschlossen gewesen warst und es doch nicht
aufgeräumt hattest. War doch alles nicht so schlimm, Peter. Aber Peter belehrte
dich gleich, dass jeder einen Vater habe, auch wenn er ihn nie zu Gesicht
bekomme, das stünde nun mal fest. Fest stünde aber auch, dass sein Vater
»g-garantiert nicht« im Westen wäre, er hätte es ja nicht mal bis hierher mit
seiner Mutter und ihm geschafft, also wäre er höchstens ganz im Osten,
wahrscheinlich aber wirklich tot. Zumindest hoffe er das, ja genau. Als Peters
Blick in deine weiten Augen fiel, sagte er: »Oder w-willst du etwa, dass hier
e-e-irgendwann a-a-einer ankommt und sagt, er ist mein V-vater und will mich
m-m-mitnehmen?«
    Und dein Pferdeschwanz sauste
wie eine Peitsche ganz schnell zwischen deinen Ohren hin und her, und dein
»Nein-nein« und die Tränen flogen um dich herum.
    Zum ersten Mal empfandest du
so etwas wie Dankbarkeit gegenüber deiner Mutter. Jedenfalls war es eine ihrer
guten Ideen gewesen, Peter einfach zu behalten. Du wusstest zwar nicht, was sie
bewogen hatte, dann auch noch dich zu kriegen, aber vielleicht fasstest du die
Sache falsch auf. Vielleicht hatte gar nicht sie ausgerechnet dich gewollt,
sondern mehr etwas für Peter, und nun war sie enttäuscht, weil es andersherum
gekommen war, weil du Peter bekommen hattest. Das konnte sie nun natürlich
schlecht zugeben, weil du ja ihr richtiges Kind warst, aber hintenrum
versuchte sie anscheinend, es wieder gutzumachen, und schenkte Peter einen
Tuschkasten mit zwölf Farben und sagte zu dir: »Du bist doch noch zu lütt dazu,
nich«, und holte einen Drops für dich aus ihrer Schürzentasche und merkte gar
nicht, dass du nicht danke sagtest. Oder? Das hätte doch immerhin sein können.
    Stop it. Was kramst du denn
hier herum wie in einer plötzlich entdeckten Truhe, von deren Existenz du ja
gar nichts ahntest, welch Überraschung. Blödsinn. Die echte Truhe aus
Kirschholz, wurmstichig, fandest du an ihrem alten Platz unter der Treppe, und
außer ein paar leeren Keksdosen und einem Kinderfotoapparat war nichts darin.
Anna Hanske hielt nichts vom Aufheben, hielt nichts vom Horten nicht mehr oder
noch nicht benutzter Dinge für spätere, schlechtere Zeiten. Sie hing diesem
Aberglauben nicht an. Was sie nicht sofort gebrauchen konnte, kam weg, wurde
verschenkt, und die Leute nahmen gerne und sagten, »na, dei hemm's joo!«.
    Und so stießest du in der
Truhe nicht auf abgelegte Kleider, Fotoalben, Spielsachen, Teekessel.
Weißwäsche für deine Aussteuer. Daran hatte sie wohl auch nicht geglaubt, sie
hatte auch keinen Grund dazu gehabt. Die Truhe enthielt keinen Hinweis auf
Peter und keinen

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