Zander, Judith
kurzerhand das noch
von niemandem besetzte Thema >Beatles< aufs Auge gedrückt, was nur meine
Vermutung zur allgemeinen Haltung den Beatles gegenüber bestätigte.
Nein, das Mäusepelzchen war
ich. Versteckte mein edles, stolzes, sternenschimmerndes Wesen unter einem
grauen Mantel, der aus Versatzstücken von Zurückhaltung, Pflichtbewusstsein,
Menschenscheu, Harmlosigkeit und Blässe zusammengeflickt war, und wagte es
nicht mal, den goldenen Ring in die Suppe zu werfen, war noch ängstlicher als
die Prinzessin. Weil sich wohl der Verdacht aufdrängte, wirklich keine zu sein.
Ich würde nie mit dem Prinzen tanzen.
Beide Bücher nahm ich
vorläufig mit nach Hause. Die Komponisten des zwanzigsten
Jahrhunderts hätte
ich am liebsten in die Ecke gefeuert. Ich legte es auf den Schreibtisch und
ließ meine schlechte Laune beim Mittagessen an Mama aus. Den Grund erfuhr sie
natürlich nicht. Mein Interesse an Arnold Schönberg war unter null gesunken,
dafür verschlang ich das Beatles-Buch, obwohl es mir nicht viel Neues
mitzuteilen hatte, denn aus der Stadtbibliothek hatte ich längst sämtliches
verfügbare Material ausgeliehen und mir einverleibt. Ich hätte einen Vortrag
aus dem Stegreif, nicht schleppend vom Blatt, sondern frisch von der Leber weg
halten können. Ich hätte schon allein dafür eine Eins bekommen. Ich hätte mit
meiner Sachkenntnis und farbig erzählten Anekdoten beeindruckt, mit meiner Begeisterung
die ganze Klasse samt Herrn Stiehl angesteckt, ach was, hingerissen. Ich hätte
mich in den Arsch beißen können.
Nun sollte ich dieses Thema,
dieses Buch, wenn auch nicht diesen Triumph, Anita überlassen? Für kurze, aber
immer wiederkehrende Momente erwog ich, es einfach einzubehalten. Es erschien
mir ungefährlich - schließlich wusste Anita nichts von diesem Buch und Herrn
Stiehl würde bei ihrem mittelmäßigen Vortrag nicht auffallen, ob sie es nun
benutzt hatte oder nicht - und nicht direkt ungerecht, eher im Gegenteil. Das
war meine erste Erfahrung auf diesem Gebiet, von dem ich schon gehört, na wohl
eher gelesen hatte, dass es nämlich Bücher gebe, als deren natürlicher
Eigentümer man sich betrachte, ob sie einem nun gehören oder nicht, und
meistens gehören sie einem nicht. Ich habe nie ein Buch geklaut oder so, war
aber öfter nahe dran, wobei mir dann aber immer der Aufwand, die Unannehmlichkeiten
in keinem gesunden Verhältnis zum Gewinn zu stehen schienen. Ja, ich bin ein
Schisser, ängstlich, bequem und feige. Auch bei diesem Buch fiel mir ein Grund
ein, es nicht tun zu müssen, denn schließlich würde Herr Stiehl es irgendwann
von Anita zurückfordern, jedenfalls war das wahrscheinlicher, als dass er es
vergessen würde, obwohl das bei ihm nicht ganz außerhalb des Möglichen lag, aber
ich wollte es nicht drauf ankommen lassen, Anita würde also wieder mal aus
allen Wolken fallen, und was dann? Ich bin nicht gut im Lügen. Genaugenommen
bin ich beinahe fast gänzlich unfähig dazu.
Ungefähr drei Tage vor dem
Vortrag nahm ich Yesterday mit in die Schule und gab es der überraschten Anita.
Sie sagte, dass sie nun eigentlich schon fertig sei mit der Ausarbeitung ihres
Vortrags, was wiederum mich überraschte, oder eigentlich auch nicht, bei Anita.
Ich meine, wer eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn schon auf dem Schulhof
steht und Lehrern Gespräche aufdrängelt. Ich selbst hatte gerade mit der Arbeit
angefangen, nach meiner üblichen Methode, mit dem geringstmöglichen Aufwand
ein optimales Ergebnis zu erreichen. Diese Methode wird in neunundneunzig
Prozent der Fälle bestätigt. Jedenfalls bei mir. Denn dazu gehört, wie manche
irrtümlich glauben, nicht nur natürliche Faulheit. Sondern auch - muss ich es
eigentlich aussprechen? - natürliche Intelligenz. Die bei den meisten - nun ja.
Überrascht war ich dann
trotzdem. Nicht von Anitas Vortrag, der war ungefähr so, wie ich mir das
gedacht hatte, und eine einzige Marter für meine Seele. Und dann ließ sie als
Beispiel ausgerechnet Roll over Beethoven ertönen, was sie anscheinend
besonders originell im Hinblick auf das Thema fand, nur dass es kein Original
der Beatles ist, wusste sie leider nicht und Herr Stiehl offenbar auch nicht.
Die nachträgliche Bemerkung, dass der Song auf das Konto von Chuck Berry ginge,
erschien mir dann aber doch zu oberschlau, um sie wirklich loszulassen, und
auch irgendwie sinnlos. Die Beatles gehörten nicht hierher, eindeutig.
Überrascht war ich nur von mir
selber, dass ich es trotz
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