Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
Vom Netzwerk:
den Schlüpfer ausgezogen und fürchterlich geschnarcht,
und sie selbst habe die Nacht über kein Auge zugetan und sich trotz der Hitze
fest in ihre muffige Decke gewickelt. Diese im Prinzip dürftige Episode
erzeugte, vielleicht gerade aufgrund ihrer Dürftigkeit, hinter der ich wohl
sonstwas vermutete, ein heilloses Assoziationenwirrwarr in mir, und ich sagte
zu Mama, und, wie ich heute denke, auch, um mich selbst zu beruhigen: »Aber es
ist doch gar nichts passiert, oder?«
    »Nein - das nicht«, gab sie
gedehnt zu, »aber die andern haben ja auch immer gesagt, pass auf, der macht
Stiehl-Augen. Wenn du weißt, was ich mein!«
    So genau wollte ich es aber
gar nicht wissen, immerhin hatte ich noch mindestens drei Schuljahre mit Herrn
Stiehl vor mir.
    Ich weiß nicht, ob diese
Geschichte mit der Schülerin dann vor oder nach Mamas Erlebnis passiert ist,
jedenfalls soll er die auf eben solch einem Ausflug »verführt« haben, und die
Munkelei hatte sich hochgeschaukelt bis zu Schwangerschaft und Abtreibung und
vorzeitigem Schulabgang des Mädchens. Ich konnte mir das Ganze eigentlich nicht
so richtig vorstellen, ich meine: Herr Stiehl! Womit sollte er sie denn becirct
haben? Etwa durch eine Fahrt in seinem senfersatzfarbenen Wartburg? In dem er
immer noch mit stolzgeschwellter Brust und quietschenden Reifen um die
Schulecke und über den Hof feuert, ohne Rücksicht darauf, ob sich die
Schülerschaft noch rechtzeitig durch eine Hechtrolle in Sicherheit bringen
kann, um ihn dann nicht wie alle anderen auf dem Schulparkplatz, sondern direkt
vor dem Eingang zu seinem Reich, besagtem Seitenflügel, abzustellen. Allerdings
wird immer wieder behauptet, in dieser bunten Welt sei alles möglich, woran ich
manchmal auch geneigt bin zu glauben, mal mehr, mal weniger gern.
    Dieses Hinterzimmer, in das
ich Herrn Stiehl gefolgt war, entpuppte sich als eine Art Musikalienlager,
verschiedene Instrumente lagen teils in Regalen, teils auf Stühlen herum,
darunter sogar ein Saxophon, und ich fragte mich, ob Herr Stiehl wohl darauf
spielen könnte, und stellte es mir vor. Ich konnte mir plötzlich kein
passenderes Instrument für ihn denken. Jedenfalls ging mir die allgemeine
Saxophonbegeisterung und alles, was subkulturmäßig oder wie man es nennen soll
damit zusammenhängt, schon zu dem Zeitpunkt gehörig auf die Nerven, und der
Gipfel ist jetzt erreicht, seitdem Melissa, schon der Name!, sich aufschwingt,
das coolste aller sich irgendwie als cool empfindenden Individuen an unserer
Schule zu werden, sich die Haare mit Henna rot färbt und angefangen hat, bei
jeder noch so blöden Veranstaltung in der Aula uns mit den Ergebnissen ihres
Saxophonunterrichts zu belästigen, und komischerweise kommt niemand auf die
Idee, das nicht toll zu finden. Das Saxophon jedenfalls ist für mich der
Inbegriff der Schmierigkeit. Vielleicht bin ich nur langzeitgeschädigt durch
dieses geschmacklose Tagebuch, das ich damals zu Weihnachten bekam, aber dafür
vermutlich auch lebenslang immun gegen das Gift dieses fast schon obszönen
Getrötes, bei dem sich doch automatisch das Bild von rötlich beleuchteten,
verrauchten Bars einstellt und wahrscheinlich auch einstellen soll, in denen
sich gestrauchelte Existenzen einen Whiskey nach dem anderen in die Kehle
gießen und dabei lediglich einen einzigen Gedanken in ihrem whiskeyerweichten
Hirn am Glimmen zu halten vermögen, nämlich wie sie jetzt schnell noch jemanden
in die Kiste kriegen. Oder, noch schlimmer, der Möchtegern-Casanova, der die
gerade erst aufgegabelte Neue zu sich nach Hause einlädt, um ihr seine
Kochkünste angedeihen zu lassen; züchtig bekleidet, er im neuerdings rosa Hemd,
sie im adretten Kostümchen, sitzen sie sich gegenüber; wenn sich ihre Blicke
wie zufällig treffen, schauen sie schnell auf ihren Teller, auf dem sie die
Ordnung der präzise angerichteten Seezunge in Champagner an
Rucola-Gorgonzola-Salat durch Hin- und Herschieben der Bestandteile zerstören,
sozusagen als Sinnbild für den nun kurz bevorstehenden Einbruch der
Lotterhaftigkeit, denn spätestens nach dem zweiten Glas Rotwein legt Casanova
eine CD mit Saxophoninstrumentals ein und wartet nun, unter Einsatz seiner
erfahrenen Hände, sekündlich darauf, dass das abgefütterte und abgefüllte
Weibchen endlich seine Beine breitmacht.
    Herr Stiehl schloss
verschiedene Schränke auf, deren Türen sich wie von allein knarrend und
sperrangelweit vor ihrem Herrn und Meister öffneten, und wühlte geräuschvoll
darin herum, es

Weitere Kostenlose Bücher