Zander, Judith
brannte in
den Backen.
Und denn kamen auch noch Heini
und Karl von oben runtergepoltert, und mein Vater kam vom Stall rein und denn
ging mir alles durcheinander, ich hab gar nich mehr gehört, was die nu alle zu
sagen hatten, bloß dass Heini geweint hat, das hab ich noch gesehn, und da hab
ich ihm das Plätzchen gegeben, das war schon ganz durchgeweicht. Und mein Vater
hat mich hochgetragen, und meine Mutter hat mir die nassen Sachen ausgepellt
und mich gleich ins Bett gesteckt und mir noch die Wärmflasche gebracht, aber
half alles nix. Nächsten Tag war ich krank. Und ich hatte so hohes Fieber, dass
sie schon dachten, das war eine Lungenentzündung, und schon fast den Doktor
holen wollten, aber denn haben sie mich doch wieder alleine hingekriegt mit
Wadenwickel und Hühnersuppe, und damit ich nich erst anfang, mich dadran zu
gewöhnen, an das »Faulenzen«, musst ich eine Woche später wieder in die Schule,
und ich könnt mich kaum auffe Beine halten und bin ganz komisch nach Bresekow
getorkelt. Aber ich hab immer an dich denken müssen, Anna, wie ich da so lag,
und was denn nu mit deine Mutter war, und dass dir das viel schlechter geht.
Und als ich in die Schulstube komm, warst du schon da und hattest ein schwarzes
Kleid an und hast gesagt: »Maria! Wo warst du denn bloß?«
Und da hab ich gesehn, dass du
recht gehabt hattest, mit deine Mutter. Aber da drüber hast du gar nix mehr
gesagt, außer einmal, viel später, wo du mich gefragt hast, ob ich mir das
Grab angucken will. Ich wollte gar nich so richtig, bin denn aber trotzdem mit
dir mit aufn Friedhof, und da hatten sie schon alles schön bepflanzt und
geharkt, und die Sonne schien so schön auf die Blumen, und ich hab mir
vorgestellt, wie sie deine Mutter in ihrem schönen gelben Kleid begraben haben,
und einen Grabstein hat sie auch schon gehabt, den gibts nu schon lange nich
mehr, aber ich weiß noch genau, was da draufstand, den hab ich mir immer wieder
angeguckt, bis ich das auswendig konnte:
Dorothea Hanske geborene
Wilders Achtzehnter Neunter achtzehnhundertneunundneunzig bis Neunter Erster
neunzehnhundertdreiunddreißig, und dann noch so ein Schnörkel da drunter.
Und ihre Mutter, was ja deine
Oma gewesen war, die war eine geborene Finckelmann gewesen, von den reichen
Finckel-manns aus Anklam, die das große Modengeschäft für Damen und Herren gleich neben Karstadt hatten und die dann auf dem
Judenfriedhof begraben worden war und nich neben ihrem Mann auf dem Alten
Friedhof, weil ihre Schwester das so wollte. Das hast du mir alles erzählt, und
siehst du, ich weiß das noch. Und deine Mutter is da manchmal hin mit Blumen
zum Judenfriedhof, aber nich oft, weil sie sich mit ihrer Mutter verzankt
hatte, als sie den Hanske, deinen Vater, geheiratet hat, obwohl ihre Mutter
selber von zu Hause ausgerissen war mit deinem Opa, und lieber is sie zu ihrem
Vater auf den Alten Friedhof. Und nu könnt sie sein Grab nich mehr pflegen und
könnt nich mehr zu ihre Mutters Grab, na, und das war ja vielleicht auch besser
so. Und dass da denn nie einer nach gefragt hat, Anna, da hattest du ganz schön
Glück.
Na, das heißt, gefragt hat
wohl schon einer, das war ja noch im selben Jahr, glaub ich, wie da einer
ankam, so ein Offizieller, und durchs ganze Dorf is und bei jedem an die Tür
gekloppt hat und gesagt hat, das war nu wegen der Volkszählung, und denn wurd
für jeden so ein Zettel ausgefüllt, wann man geboren is und was von Beruf und
welchen Glauben, und später hat denn mein Vater auch so einen Ausweis gekriegt,
wo alles über ihn drinstand, sogar seine Fingerabdrücke warn da drin, das hat
er uns gezeigt, aber nur so auf Abstand, anfassen dürft den keiner, den
Ausweis. Und ich hab dich gefragt, ob dein Vater auch so einen gekriegt hat,
und du hast gesagt, nein. Ich hab mich erst nich getraut zu fragen, wieso nich,
ich dacht, vielleicht hätt er was ausgefressen, und da war ich stolz, dass mein
Vater aber nu so einen Ausweis gekriegt hat, wenn den nich jeder kriegt. Aber
da hast du gesagt, dass es wegen seinem Auge is, weil er ja vom Krieg her auf
einem Auge blind war, und denn hast du noch gesagt, dass er gesagt hat, dass er
da auch ganz froh drüber war, dass er keine von diese Kennkarten, so hieß das
ja nämlich, dass er die nich gekriegt hat, weil mit den Fingerabdrücken, das
war wie bei einem Verbrecher, und er war ja schließlich kein Verbrecher, auch
wenn er im Krieg Leute totgeschossen hätt, aber das würd ja wohl nich zählen.
Da hab ichs
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