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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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aber, Anna«, und
du hast mich denn immer noch den halben Weg gebracht, und mit dem Hochdeutsch
ging das auch immer besser.
    »Na Frollein«, hat mein Vater
zu Hause gesagt, »du müchst di woohl goor nich mihr schuppen, wat? Nu kümm eis
mit und help mi mitte Heuhners«, und denn musst ich noch den Hühnerstall mit
meinem Vater ausmisten, und die Schulaufgaben waren auch noch nich fertig, und
meistens wurden die das auch nich mehr, und denn bin ich morgens so früh los,
wies nur ging, und hab dich abgeholt und ruckzuck alles von dir abgeschrieben,
und du hast gesagt, dass ich das nich nur so abschreiben kann, weil Herr
Pittelkow das sonst doch merkt, aber ich war so flusig, ich hab sogar noch beim
Abschreiben Fehler gemacht, und Herr Pittelkow hat das nich gemerkt. Du warst
sowieso besser als ich, aber bei Herrn Pittelkow hatten wir das beide nich
einfach, der war ja son ganz Forscher, und wie denn das erst mit die Hitlerei
losging, da war der ja obenauf.
    Und denn bin ich einen Nachmittag
zu dir hin, das war ein Sonnabend, und ich hab mich so gefreut, weil ich
sonnabends sonst immer zu Hause bleiben musst und meine Mutter beim Waschen
helfen, ich musst immer aufn Hocker klettern und dann mit so eine Holzlatte die
Wäsche in dem großen Kessel umrühren, und das war schwer, und immer der heiße
Dampf mir ins Gesicht. Ich weiß nich mehr, wieso ich an dem Tag keine Wäsche
machen musst, aber dass ich gleich nach dem Mittag zu dir bin durch den hohen
Schnee, das weiß ich noch. Das war nich lang nach Weihnachten, ich hatte noch
Nüsse übrig vom bunten Teller und zwei Plätzchen, und die wollt ich dir
mitbringen, aber eins hab ich schon unterwegs gegessen. Und wie ich denn endlich
bei euch war, war ich ganz nassgeschwitzt von dem langen Weg, und wie ich da
immer so durch die Schneewehen durch musst die ganze Zeit, und meine Mutter hat
noch gesagt: »Du büst woohl nich gescheit! Bi dat Wääder!«, aber ich bin
trotzdem los. Und ich weiß nich, wieso, Anna, aber ich hatt gleich son komisches
Gefühl, wie ich da an eure Tür gekloppt hab, und denn kam erst keiner, aber ich
hab ja Licht gesehn bei euch, und ich hab gekloppt und gekloppt und war schon
bald am Heulen, weil mir ja auch so kalt war, und der nasse Rücken und die
kratzige Wolle, und denn hast du endlich die Tür aufgemacht mit ein ganz
verweintes Gesicht. Und ich hab dir die Nüsse und das eine Plätzchen
hingehalten, aber du hast das gar nich angeguckt, bloß mir so ganz grade ins
Gesicht, und hast gesagt: »Meine Mutter stirbt.«
    Ich hab dich angestarrt und
war nu ganz vonne Socken und hab bloß gefragt: »Warum denn, Anna, woher weißt
du denn das?«, weil ich das gar nich glauben könnt, die schöne Frau Hanske, und
was wird denn da bloß mit dem Baby in ihrem Bauch? Aber das Baby war auch schon
gestorben, am Abend vorher wars losgegangen, mehr als ein Monat zu früh, und
wie es rauskam, war das schon ganz blau gewesen und hat keine halbe Stunde
gelebt. Und das war ein Junge gewesen, und du wölkst doch immer so gerne einen
Bruder. Und deine Mutter hat so geblutet, das ganze Bett voll, hast du gesagt,
und ich könnt mir das gar nich vorstellen, ich wusst ja gar nich, wo sie denn
nu rausblutet, und dachte wirklich, sie war vielleicht geplatzt von der
Anstrengung, weil meine Mutter denn ja auch immer so geschrien hat dabei. Und
deine Mutter war gleich nach Anklam gekommen, ins Krankenhaus, und ich hab zu
dir gesagt, dass du doch so was nich sagen darfst, dass sie nu stirbt.
    »Wir können heute nich
spielen, Maria«, hast du bloß noch gesagt, und ich hab genickt und bin wieder
los.
    Den ganzen Weg über hab ich
gedacht, ich muss beten, ich muss für deine Mutter beten, dass die nich stirbt,
aber das hat so geschneit, das wurd immer schlimmer, und mir war schon angst
und bange, dass ich nu gar nich mehr nach Hause komm, dass ich nu auch sterben muss,
und ich hab gebetet, »lieber Gott, lass mich nach Hause kommen, dann werd ich
auch ein ganz langes Gebet für Frau Hanske sprechen, aber lass mich man erst
nach Hause kommen«, und ich dacht, damit der liebe Gott auch sieht, dass ich
das ernst mein, hab ich immerzu gesagt, »lass Frau Hanske nich sterben, lass
Frau Hanske nich sterben«, und wie ich denn doch endlich bei unserm Haus war,
da war mein Schal ganz gefroren vom Weinen und vom Schnee, der is mir ja nur so
ins Gesicht. Und was hat meine Mutter geschimpft mit mir, aber ich könnt gar
nix mehr sagen, weil meine Lippen ganz steif waren, und der Frost

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