Zander, Judith
nächsten Sonnabend
die Arbeit oder, noch schlimmer, die öde Berufsschule zu überstehen. Da hatte
man schon immer sonntags abends schlechte Laune, wenn man an die erste Stunde
montags gedacht hat, Warenkunde oder so was. Oder da hatten wir auch so
komische Sachen wie Elektronische Datenverarbeitung, und hat ja damals kein
Mensch gewusst, wozu, die Technik dafür hatten wir noch nie in echt gesehen,
Computer, das konnte sich gar keiner vorstellen, das hat man stur auswendig
gelernt. Und weil da keiner dran denken mochte, hat auch keiner sonntags abends
noch die restlichen Hausaufgaben gemacht, sondern da wurde sich erst mal in den
Gemeinschaftsraum gehockt und der Krimi geguckt, und das mit dem morgens dann
früher Aufstehen, das wurd natürlich nie was. Bloß ich bin meistens früher
hoch, oder zumindest gleich wenn der Wecker geklingelt hatte und die andern
ihre fetten Ärsche noch mal rumdrehten im Bett. Bloß weil ich nicht wollte,
dass die mich beim Waschen sehen, und da hatte ich den Waschraum dann noch für
mich alleine. Zwar haben die sich dann auch dadrüber mokiert, dass ichs wohl
gar nicht erwarten könnt, aber wenigstens nicht über meine Figur, dass da ja
nun gar nix dran war, das ging ja schon zu Schulzeiten immer so, »kein Arsch
und kein Tittchen, sieht aus wie Schneewittchen«, haben die Jungs gerufen. War
ja auch so, und ich sah ja wirklich n bisschen wie Schneewittchen aus, mit den
dunkelbraunen Haaren bis zum Hintern und die blasse Haut. Und die andern,
besonders dann die in der Berufsschule, waren so richtig dicke Dorfplautschen,
mit achtzig Doppel-D und nem Arsch wien Drei-Taler-Pferd, da haste schon genau
gesehen, wo das mal hinführt, die würden mal nicht anders aussehen als ihre
Mütter, bei denen die bunte Kittelschürze überm Bauch schneerte, und die dicken
Fleischerarme passten grad mal so durch die Ärmellöcher.
Und nun guck dir heute die
dicke Roswitha Rohalla an, wie ihre Mutter, die blaart auch genauso mit ihren
Gören rum. Und versauert in ihrem Neubau. Aber damals, da war sie dicke da, im
wahrsten Sinne. Da war sie ja so was wie unsere Obermackerin, das hat sie sich
nicht nehmen lassen, da das Zepter zu schwingen. Sieht man schon auf den
Bildern, wie sie da mit ihrem dreisten Grinsen über uns thront.
»Wer ist das denn?«, hat Romy
gefragt. »Ist die etwa auch Verkäuferin geworden?« Ich glaub, das war für sie
der blanke Horror gewesen, sich von der was verkaufen lassen zu müssen. Aber
ist sie ja geworden, Verkäuferin, wenn auch man grade so, und die haben sie
dann in den E isenwaren gesteckt, und das wollt nun
wirklich keiner machen, das war noch schlimmer als K urzwaren , die ganzen Schrauben zählen.
Da tat sie mir dann fast leid, und ich hab sie paarmal besucht, obwohl ich
sonst eigentlich auch Schiss vor ihr hatte, aber ich glaub, die mochte mich
ganz gerne, gerne geärgert hat sie mich natürlich auch. »Na, Sonja.« Wenn sie
so schon ankam mit ihrem breiten Grienen. Dann hatte sies meistens auf mich
abgesehen. Besonders einfallsreich war sie aber nicht. Ging immer bloß darum,
dass ich ja n bisschen mickrig aussehe und n bisschen blass bin und ob ich denn
nun schon nen Freund hab und so, da hat sie bei allem natürlich immer sich als
Maßstab genommen. Und gleich hinterher die Frage, ob ich sie die Hausaufgaben
abschreiben lass, da hat die sich gar keinen Kopp gemacht. Die wusste ja auch,
ich lass sie abschreiben, öfter hat sie denn bloß noch gesagt, »eh, gib ma
deine Hausaufgaben her«, und ich hab sie ihr gegeben, hätt ich nee sagen
sollen? Na, dann hätt ich aber für den Rest der Lehrzeit nix mehr zu lachen
gehabt. Das konnte die überhaupt nicht ab, wenn einer mal nicht so wollte wie
sie, wenn sich mal einer widersetzt hat. Sogar die Lehrer hatten teilweise
Manschetten vor der. Die ist immer irgendwie durchgerutscht, obwohl die faul
war wie nur was, ich hab die nie was lernen sehen. Aber jede Woche n andern
Kerl. Weshalb die sich dann letztendlich auch gar nicht so unwohl gefühlt hat
da im E isenwaren , da hatte sie ja
hauptsächlich mit Männern zu tun.
Einmal, wie ich sie besucht
hab und schon anfing mit »Mensch, Roswitha«, und sie bedauern wollte, grient
die mich an und sagt: »Weißte, ick hab hier einen uffgegabelt, aber picobello,
sag ick dir!«
Und dass das was Festes war
und sie den vielleicht sogar heiraten würd. »Mensch, Roswitha«, sag ich.
Und wie ich dann paar Wochen
später wieder hinkomm, da wollt ich nämlich sogar was kaufen, ich
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