Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
sind gefallen, und ich kann nur hoffen, dass sie zu unseren Gunsten entscheiden. Es stehen so viele Leben auf dem Spiel.
Stoßen, balancieren, gleiten. Stoßen, balancieren, gleiten. Ich schwebe durch einen unsichtbaren Ballsaal, und die Luftist mein Tanzpartner. Nie habe ich mich den Göttern näher gefühlt. Feuer, Wasser, Luft, Erde. Leben – wundervoll und furchterregend. Ich erinnere mich daran, was der Wolfshund auf dem Hügel gesagt hat: Das Leben sollte eigentlich genügen.
Für Twiss ist es mehr als genug. Kaum habe ich das Gefängnisdach erreicht, rutscht sie von meinem Rücken herunter, lässt sich auf alle viere sinken und übergibt sich leise. Doch noch bevor ich anfangen kann, mir Sorgen zu machen, hat sie sich schon wieder aufgerappelt und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann tapst sie lautlos zur Dachkante, schwingt sich mit der Anmut einer Akrobatin über den Rand und verschwindet mit den Füßen voraus in dem offenen Fenster. Ich erinnere mich an die morschen Bodendielen, die vielleicht Twiss’ Gewicht tragen, aber bestimmt nicht meines, und verdichte noch einmal sorgfältig die Luft unter meinen Füßen, bevor ich ihr folge.
Der Raum ist immer noch mit den im Mondlicht leuchtenden Hinterlassenschaften der hier ein- und ausfliegenden Vögel getüncht, das Türschloss immer noch aufgebrochen. Ich nicke Twiss zu. Sie drückt die Tür auf und wir treten in den leeren Gang hinaus. Und zurück ins Anderswo. Mehrere Großmeister halten sich in der Nähe des Kerkers auf. Ich kann sie fühlen. Haben wir das Spiel schon verloren?
Die Angst legt mir ihre eisige Hand in den Nacken, bevor die Gelassenheit des Anderswo mich einhüllt und ich wieder zur Diebin werde. Wir sind eilende Schatten, lautloser als jede Katze oder Ratte.
Die Luft auf dem Weg zu Aidans Zelle ist rein. Es sind keine Großmeister mehr in unmittelbarer Nähe. Trotzdem strecke ich noch nicht einmal den kleinen Zeh aus dem Anderswo,und als wir seine Zellentür erreicht haben, überlasse ich es Twiss, das Schloss aufzubrechen. Keine Magie mehr. Sie hat es schneller geknackt, als ich dazu in der Lage gewesen wäre, und wirft mir einen triumphierenden Blick zu. Einen Augenblick später stehen wir in der Zelle und die Tür hinter uns ist wieder geschlossen.
Aidan liegt in silbriges Mondlicht getaucht zusammengerollt auf der Seite und hat eine Hand unter seine von einem Bartschatten verdunkelte Wange geklemmt. Twiss schleicht auf Zehenspitzen zu ihm, legt den Kopf schräg und betrachtet ihn einen Augenblick neugierig. Dann dreht sie sich zu mir um, hebt zustimmend den Daumen und zwinkert mir mit einem frechen Grinsen zu. Obwohl ich im Anderswo bin, erfasst mich eine nervöse Unruhe: Das hier ist kein Spaß, sondern tödlicher Ernst. Bis jetzt war es einfach. Zu einfach? Unwillkürlich taste ich nach dem Schwert an meiner Seite und atme wieder etwas auf, als sich das kalte Metall des Hefts beruhigend in meine Hand schmiegt.
Hier herrscht Benedict, das ist sein Reich. Er wird mich nicht einfach so seine kostbare Geisel entführen lassen. Es bis zu Aidan geschafft zu haben ist eine Sache, den Erschaffer von hier fortzubringen eine ganz andere. Deswegen trage ich das Fläschchen von Meisterin Quint um den Hals. Doch ganz gleich, was auch passieren wird, wenigstens werde ich mit Aidan zusammen sein und sein Schicksal teilen.
Freude und Angst vermischen sich zu einem hämmernden, atemlosen Herzschlag, als ich an die Grenze des Anderswo trete, mich über ihn beuge und ihm warnend eine Hand auf den Mund lege. »Ich bin es, Zara«, flüstere ich in sein Ohr. »Ich bin hier, um dich zu holen.«
Er reißt erschrocken die Augen auf, rollt sich hastig auf den Rücken und ballt kampfbereit die Hände zu Fäusten. Als er mich erkennt, entspannt er sich und schaut blinzelnd zu mir auf. Sein Atem ist warm, sein Gesicht nur wenige Millimeter von meinem entfernt. Ich beuge mich tiefer und küsse ihn. Es ist der erste Kuss meines Lebens.
Aidans Lippen kommen mir weich entgegen. Er umschließt mit beiden Händen mein Gesicht und streicht mit den Daumen sanft über meine Magierzeichen. Die Zärtlichkeit verwandelt sich in Leidenschaft, und ich falle von der Schwelle des Anderswo in die Arme des Erschaffers, der mich auffängt und fest an sich zieht. Viel zu schnell schiebt er mich weg und hält mich eine Armlänge von sich entfernt.
»Den Göttern sei Dank!« Er richtet sich auf und die Erleichterung in seinen Augen weicht einem
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