Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
Sinn für Humor, ganz besonders die Zeit. Doch es erscheint mir seltsam angemessen, dass ich im selben Raum sterben soll wie Swift.
Ich rase darauf zu. Als ich nach der Klinke greife, höre ich das Sirren eines Pfeils, gefolgt von einem lauten Röcheln, und sehe aus dem Augenwinkel, wie einer der beiden Magier zusammensackt und sein Teil der Steinwand über ihm zusammenbricht. Wie ist das möglich? Ungläubig starre ich auf den zweiten Magier, als sein Bauch sich öffnet und seineEingeweide herausquellen. Ich fühle mich wie in einem meiner schlimmsten Albträume.
Aber der Gestank nach Blut und Gedärmen ist real. Genau wie der wütende Schrei meines Vaters. Otters Stimme erhebt sich über den Tumult. Die Stimme eines Generals, der Befehle erteilt. Ruhig und von tödlicher Entschlossenheit. Einen winzigen Moment lang keimt Hoffnung in mir auf, nur um gleich darauf wieder zu erlöschen. Er kann nicht gewinnen. Eine Handvoll Tribute und ein halber Dieb gegen die Großmeister meines Vaters? Aussichtslos. Aber wenn ich Glück habe, gelingt es Otter, meinen Vater so lange abzulenken, bis ich es vollbracht habe. Ich danke dem Hüter stumm.
Eilig öffne ich die Tür zur Bibliothek und stehle mich hinein. Ein einziger gehetzter Gedanke genügt, um sie hinter mir zu schließen und den Riegel einrasten zu lassen.
Es ist eine massive Tür aus dickem Rotholz. Ich lehne mich keuchend und zitternd dagegen. Die Kampfgeräusche dringen nur noch gedämpft zu mir hindurch. Finden in einer anderen Welt statt. Wenn ich nur aus der Zeit selbst herausschlüpfen könnte. Weit, weit fort von hier. Aber jetzt gibt es für mich nur noch eine einzige andere Welt, und der Schlüssel dazu ruht in meinem Ausschnitt. Ich denke an Mirri, die Bogenschützin, und ihr im Todeskampf verzerrtes Gesicht. Mein Mund wird trocken. Ich habe Angst, aber ich nehme es mir nicht übel. Jeder hätte Angst.
Mit zitternden Beinen setze ich mich an den Schreibtisch meines Vaters und taste nach dem Lederband um meinen Hals. Es liegt warm auf meiner Haut. Meine Haut. Meine Wärme. Mein Leben. Ich streife das Giftfläschchen vonMeisterin Quint über den Kopf und stelle es vor mir ab. Eine kleine, unscheinbare Phiole aus grün schimmerndem Glas. Ich nehme sie in die Hand und drehe den Korken heraus. Er löst sich mit einem leisen Ploppen und ein bitterer Geruch steigt mir in die Nase.
Ich bin wie betäubt. Das ist die Angst. Meine Ohren rauschen. Der Schreibtisch vibriert. Mein Blick wandert von dem Giftfläschchen über die blank polierte rote Tischplatte zu dem Briefbeschwerer. Die gläserne Kugel glüht. Die silbernen Spiralen des in die Oberfläche gravierten Magier-Insignes meines Vaters sind erleuchtet wie ein Fenster, hinter dem Licht brennt. Es ist, als wäre eine Miniatursonne darin gefangen. Die sich windenden silbernen Linien verströmen ein warmes goldenes Licht. Magierlicht.
Das ist unmöglich.
Zitternd strecke ich eine Hand aus und berühre den Briefbeschwerer. Das Glas sollte eigentlich glatt und kühl sein, aber es fühlt sich lebendig an, beinahe wie Haut. Ein Sturm an Empfindungen wirbelt aus dem Glas heraus und fährt durch mich hindurch: Angst, Liebe, Schmerz, Verlust. Wieder Angst. Angst um mich, wie ich verblüfft erkenne.
» Zara! « Die Stimme kommt aus dem Briefbeschwerer.
»Lebe!« , ruft sie. »Du musst leben, Zara!«
Und dann verwandelt sich die aus der Glaskugel aufsteigende Angst plötzlich in nacktes Entsetzen und schleudert mich wie eine Druckwelle in den Lehnstuhl zurück. Mein Arm stößt das Fläschchen der Apothekerin zu Boden, wo es in giftgetränkte Scherben zerschellt. Die Tür zur Bibliothek fliegt auf und mein Vater stürmt herein.
Augenblicklich wird der Briefbeschwerer kalt und tot.Kein Rauschen mehr. Keine Stimme. Keine Liebe. Nur Benedict.
Er kommt auf mich zu. Sein Gesicht ist bleich und angespannt.
Ich habe ihm wehgetan. Ich habe ihm gezeigt, dass er nicht unverwundbar ist. Es ist eine gänzlich neue Erfahrung für ihn, die ihm nicht gefallen wird. Der Gedanke bereitet mir ein bitteres Vergnügen. Meine einzige Fluchtmöglichkeit ist über den Boden verschüttet, aber ich werde nicht aufgeben. Er wird mich töten müssen. Es ist nicht wie beim letzten Mal. Nicht wie damals, als Swift starb. Er kann meinen Geist nicht mehr in Besitz nehmen.
Entweder töte ich ihn oder er mich. Eine frevlerische Freude durchfährt mich und wischt die letzten Spuren der Angst fort.
Die Tür schwingt langsam hinter ihm zu,
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