Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
sehen.«
Flosters Wolfshund ist wie aus dem Nichts aufgetaucht und ragt bedrohlich über den Halblingen auf, als wir gerade bei unserem morgendlichen Mahl sitzen, das aus trockenem Brot und hartem, leicht schimmligem Käse besteht. Die Halblinge haben sich mittlerweile an meine Anwesenheit gewöhnt, und Twiss scheint stolz darauf zu sein, eine Magierin als Lehrling zu haben. Aber ich glaube nicht, dass ich mich jemals an diese volle, stickige Höhle, den Lärm und den Gestank gewöhnen werde. Oder daran, mich inmitten all der mageren und zu kleinen Kinder wie eine Riesin zu fühlen.
Ich sehe blinzelnd zu dem Wolfshund auf. Unter den Dieben zu leben und ihre Gefühle nicht spüren zu können ist, wie blind zu sein. Was will Floster von mir?
Er deutet auf Twiss, die neben mir sitzt. »Dich auch.«
Twiss verzieht das Gesicht und schiebt sich ihr letztes Stück Brot in den Mund.
Der Wolfshund nickt ungeduldig Richtung Tür und wirstehen eilig auf und folgen ihm nach draußen. Mein rechter Fuß ist eingeschlafen und fühlt sich wie ein totes Stück Holz an, sodass ich bloß humpeln kann, doch im nächsten Moment beginnt er so heftig zu kribbeln, als würden Tausende Nadeln auf ihn einstechen. Ich stolpere und wäre beinahe zu Boden gestürzt, wenn der Wolfshund mich nicht am Arm gepackt und gestützt hätte – doch statt mich anschließend wieder loszulassen, hält er mich weiter fest. Mein Herz springt mir in die Kehle und das Atmen fällt mir schwer. Ich sehe ihn nicht an, aber ich kann ihn riechen: Er verströmt ein Duftgemisch aus Holzrauch, Erde, gefettetem Leder und … Gefahr. Ich spüre es ganz deutlich, als er mich berührt, und in diesem Augenblick weiß ich, dass irgendetwas Schreckliches passiert sein muss.
»Lass mich los.« Ich schaue zu ihm auf, und als er meinem Blick begegnet, nimmt er die Hand weg und neigt in gespielter Unterwürfigkeit den Kopf.
»Verzeiht … Mylady. Aber wir sollten die Herrin nicht warten lassen, Geduld gehört nicht unbedingt zu ihren Stärken.« Auf seinem Gesicht liegt ein spöttischer Ausdruck, sein Blick ist anmaßend und die Bewegungen seines Körpers wirken geschmeidig, beherrscht und … bedrohlich. Und mit jedem Schritt, den ich ihm folge, wird meine Angst größer. Fragend spähe ich zu Twiss hinüber, die neben mir läuft, aber sie zuckt nur mit den Achseln und schüttelt den Kopf. Sie weiß also auch nicht, was geschehen ist.
»Die Wahrheit«, verlangt die Herrin der Diebe.
Sieben Gesichter schauen mich mit undurchdringlichemBlick an, doch ich kann die Gefühle der Erkenntnissuchenden spüren – ihr Misstrauen und ihr Hass wabern wie vergiftete Nebelschwaden durch den Raum. Diese Menschen sind mir genauso fremd wie ich ihnen.
Erneut hallt die Stimme meines Vaters durch meinen Kopf, heimtückisch, bestimmt, vernichtend: Vieh ist nicht menschlich, Zara. Begehe nicht den gleichen Fehler wie deine Mutter. Wir sind von den Göttern dazu auserkoren, über sie zu herrschen. Tun wir das nicht, werden uns ihr Neid und ihre Angst überwältigen. Unsere beiden Rassen können nicht in Frieden und Freundschaft zusammenleben. Etwas anderes zu denken ist nicht nur schwach, sondern gefährlich.
Er irrt sich. Ich weiß, dass er sich irrt, und dennoch ist es unendlich schwer, unter denen zu leben, die glauben, man wäre nicht menschlich. Es ist schlimmer als jede Einsamkeit, ein monströser dunkler Schmerz, der mich zu verschlingen droht und allmählich an den Rand des Wahnsinns treibt. Ich muss sehr vorsichtig sein, wenn ich nicht in seinen Abgrund stürzen will.
Twiss fängt meinen Blick auf und sieht mich fragend an. Als ich ratlos die Schultern hochziehe, rückt sie näher an mich heran, und ich fühle mich plötzlich in jene Nacht zurückversetzt, in der Swift sich in der Bibliothek meines Vaters hinter meinen Rücken duckte. Hastig verdränge ich die Erinnerung, und in dem Moment wird mir klar, dass Twiss nicht aus Angst näher an mich herangerückt ist, sondern um mich zu beschützen.
Ich zwinge mich, meine Gefühle auszuschalten und mich nicht von ihnen ablenken zu lassen. Ich brauche alle meine Sinne, um mich vor dem zu wappnen, was als Nächsteskommen wird, und die Mienen der Ratsmitglieder verheißen nichts Gutes.
Floster, die aufrecht an ihrem Platz in der Mitte des Tischs sitzt, hat anklagend den Kopf mit den kurz geschnittenen grauen Haaren zur Seite geneigt. Sie geht so sparsam mit ihren Worten um, als wären es Goldmünzen – und wartet schweigend
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