Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
kleinsten Fehler, könnte es ihn umbringen. Aber ich werde keinen Fehler machen.
Ich sammle meine ganze Kraft. All meine Begabung, mein Können, meine Entschlossenheit. Ich werde nicht zulassen, dass Marcus stirbt. Nicht auf diese Weise.
Ich schließe die Augen und schicke mein Bewusstsein in den Körper des Wolfshunds. Spüre der Eintrittswunde in seiner Brust nach. Fühle beschädigte Muskelfasern und durchtrennte Sehnen und Adern. Der Pfeil steckt in seiner Lunge, die bereits voller Blut ist. Der Wolfshund ist dabei, in seinem eigenen Blut zu ertrinken.
Langsam und vorsichtig kehre ich den Flugpfad des Pfeils um. Ziehe ihn Stückchen für Stückchen aus dem Körper des Wolfshunds. Und heile dabei verletzte Muskeln, Sehnen und Blutgefäße. Sie lassen sich nicht schwerer formen als Stein oder Luft. Es ist faszinierend. Aber je sicherer man sich seiner selbst ist, desto größer wird die Gefahr. Überheblichkeit erzeugt Leichtsinn. Fahre einfach langsam und gewissenhaft damit fort, die Sehnen zusammenwachsen zu lassen und die Muskelfasern zu verbinden. Mein Körper zittert vor Anstrengung, als ich die letzten Hautschichten erreicht habe.
Schließlich ist der Pfeil draußen und hat nichts weiter als ein kleines rundes Loch in der Ledertunika des Wolfshunds hinterlassen. Der Schaft fällt mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, ein blutverschmierter dünner Stock mit einem spitzen Stein am Ende. Ein lächerliches, zerbrechlich wirkendes Ding, das einem Mann dennoch das Leben nehmen kann.
Ich habe die Blutung gestoppt, aber Marcus’ linker Lungenflügel ist immer noch voller Blut. Hastig fühle ich nach seiner Lebenskraft. Sie schwindet. Der Wolfshund stirbt. Und ich habe keine Ahnung, wie ich das Blut aus seiner Lunge bekommen soll.
Denk nach!
Mein Kopf tut weh. Mir ist kalt und ich zittere. Und ich bin kurz davor, den Verstand zu verlieren. Oh ihr Götter! Bitte steht mir bei. Aber da ist niemand, der mir beisteht. Ich muss es allein schaffen.
»Es tut mir so leid, Marcus.« Tränen strömen mir über die Wangen. »Er sollte mich treffen. Nicht dich. Das ist nicht gerecht.«
Er würde lachen, wenn er mich hören könnte. Der Wolfshund hat nie erwartet, dass das Leben gerecht ist. Aber er hat sich davon nie aufhalten lassen. Genauso wenig, wie ich mich davon aufhalten lassen werde. Ich atme einmal tief durch und zwinge meinen Geist, sich auf die vor mir liegende Aufgabe zu konzentrieren. Als ich das gurgelnde Blut in seiner Lunge gefunden habe, bringe ich es dazu, sich zu verwandeln. Wasser zu Luft. Luft zu Erde. Erde zu Feuer. Der Kreislauf des Lebens. Die Elemente. Einen Großteil des Bluts verwandle ich in Luft, die Erde bekommt auch etwas, und der letzte kleine Rest bleibt als Wasser zurück. Dann ist es vollbracht. Sein Atem geht wieder leichter. Aber er ist so kalt. So schrecklich weit weg.
Wo ist er? Ich muss ihn aus dem Anderswo holen, sonst stirbt er. Als ich ihm dorthin folge, finde ich heraus, dass ich den Weg schon die ganze Zeit kannte.
Twiss sitzt zusammengekauert in einer Ecke von Flosters Kammer. Sie hat die Arme fest um ihre Knie geschlungen, als hätte sie Angst, sonst in Hunderte kleine, unglückliche Teile zu zerspringen. Das Gesicht des zwölfjährigen Mädchens ist tränenüberströmt und in ihren Augen liegt nichts als Kummer. Ein Blick auf sie, und jeder weiß sofort, was sie getan hat. Ich schaue verstohlen zu ihr hinüber und versuche, den kleinen Unglückswurm stumm dazu zu zwingen, nicht so schuldbewusst auszusehen. Aber wie immer scheint sie mir das Leben unbedingt schwer machen zu müssen.
»Wer hat den Pfeil auf Marcus abgeschossen?« Floster sieht mich finster an, so als hätte sie gute Lust, mir die Antwortdirekt aus dem Kopf herauszureißen. »Ich will die Frage nicht noch einmal stellen müssen.«
»Und ich will Euch nicht ständig sagen müssen, dass ich es nicht weiß! Ich hatte dem Schützen den Rücken zugekehrt. Als ich mich umdrehte, war er schon weg. Und anschließend war ich damit beschäftigt, Marcus’ Leben zu retten – was mir auch gelungen ist, falls Ihr es vergessen haben solltet.«
»Was hattet ihr beide in diesem Teil der Katakomben zu suchen? Und hör auf, mich anzulügen, Zara. Es wäre gar nicht erst auf Marcus geschossen worden, wenn du nicht gewesen wärst!«
Ich senke betroffen den Blick. Meine Mitschuld setzt mir genauso heftig zu wie die hämmernden Kopfschmerzen, die mich quälen, seit ich Marcus’ Bewusstsein aus dem Anderswo gezerrt
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