Zarias Geheimnis
»Jetzt da ihr im Besitz eurer Kristalluhren seid, dürft ihr alle Oberon-Stadt erkunden«, leierte er herunter. »Diejenigen unter euch mit Magie-Stufe sieben und höher und mit Radia-Vorräten oberhalb des orangefarbenen Bereichs werden von ihren Mentoren ausgebildet, die euch morgen Vormittag zu einem ersten Treffen erwarten. Alle anderen können ihre Erziehung hiermit als beendet betrachten.«
Beendet. Wie ich Andalonus beneidete!
»Diese Klasse hat ihre Schulausbildung abgeschlossen«, fuhr Blutstein fort. »Was wir vor sieben Jahren gemeinsam begonnen haben …«
Seine Rede nahm überhaupt kein Ende mehr. Ich hörte gar nicht zu. Es tat mir wirklich nicht leid, dass meine Schulzeit vorbei war. Und wenn man mir eine andere Mentorin zugewiesen hätte, wäre ich wunschlos glücklich gewesen. Ich musste keinen weiteren Tag mehr mit Blutstein verbringen!
Aber die Ausbildung mit meiner Mentorin würde drei Jahre dauern. Warum? Warum durfte ich das Zauberbuch meiner Mutter nicht alleine studieren?
Ich versuchte mich zu trösten. Vielleicht war meine Mentorin gar nicht so schlimm. Vielleicht nahm sie mir meinen Besuch zur Erde nicht übel. Da sie Mitglied des Hohen Rates war, wusste sie bestimmt mehr als die meisten Elfen. Vielleicht konnte sie mir helfen.
»Ihr könnt gehen«, sagte Blutstein endlich.
Ein paar Elfen blieben noch, um sich von Beryl undBlutstein zu verabschieden, aber die meisten stürmten sofort auf die Tür zu.
Draußen trippelte Portia mit ausgebreiteten grünen Flügeln und auf Zehenspitzen vor Meteor herum. Sie klimperte so heftig mit den Augen, dass ich dachte, sie hätte einen Käfer im Auge. »Hast du Lust, mit mir nach Oberon-Stadt zu gehen?«, fragte sie ihn.
Meteor drehte sich zu Andalonus, der ihm aufmunternd zuwinkte. Dann blickte er zur mir herüber. Ich zuckte mit den Achseln. Leona breitete die Arme aus. »Wenn du mit mir gehst, wirst du nur belästigt«, erklärte sie.
Meteor nickte Portia knapp zu. Sie flogen gemeinsam davon.
»Erwartest du eine weitere Meute?«, fragte Andalonus Leona.
»Ich bin violett!«, erwiderte sie. »Das hat sich mittlerweile bestimmt herumgesprochen, und alle Elfen, die nicht nach Galena dürfen, warten mit Sicherheit auf der anderen Seite der Pforte, um einen Blick von mir zu erhaschen. Und von Zaria.«
»Von mir bestimmt nicht«, sagte ich.
»Du kannst dich nicht ewig verstecken, Zari.«
»Ich kann mich heute verstecken.« Ich wollte mit ihr über Lily Morganit reden. »Leona …«
Sie hob ab und gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen.
Als ich am Boden blieb, drehte sie mir den Rücken zu, flog mit aufgeblähten silbernen Flügeln davon und ließ mich mit Andalonus allein.
»Ich kann das Ganze nicht ausstehen«, grummelte ich.
Andalonus zog sich an den Ohren. »Zaria, ist es wirklich so schlimm, violett zu sein? Dir werden deine Radia-Einheiten nie ausgehen. Ich hingegen muss mit meinen sehr sorgsam umgehen, weil sie sonst alle innerhalb einer Stunde aufgebraucht sind.« Eine Brise kam auf und wirbelte sein Haar zu einem blauen Heiligenschein auf. »Überleg mal, wie viel Gutes du damit tun kannst.«
»Andalonus Kupfer, du hättest violett sein sollen.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, hatte aber das Gefühl, daran zu ersticken.
Er sah mich an. Andalonus, der Elf, der alle zum Lachen brachte, blickte ernst und traurig. Es gefiel mir nicht, ihn so zu sehen.
»Ich gehe nach Hause«, sagte ich. »Vielleicht finde ich einen Zauber, der eine bessere Elfe aus mir macht.«
»Bis bald, Zari.«
Ich nickte. Dann hob ich ab und ließ mich hoch in den Himmel tragen. Eine Schar Kinder blieb in meinem Luftzug zurück, als ich mich auf den Weg nach Hause machte.
Ich landete unsanft und rannte hinein. Wenigstens war Beryl noch nicht wieder zurück; wahrscheinlich war sie noch in der Schule und besprach die neue Klasse Siebenjähriger, die bald anfangen würde. Vielleicht beschwerte sie sich auch bei Blutstein über ihr schwieriges, erdbesessenes Mündel.
In Oberon-Stadt versammelten sich vermutlich gerade alle Schaulustigen und warteten darauf, die violetten Elfen durch die Pforte von Galena schwirren zusehen. Im Moment hatte ich noch ein wenig Zeit für mich, aber was war morgen – und danach? Würde ich je wieder in Frieden leben können?
Ich weiß nicht, wie lange ich in dem Hochsitz unseres Wohnzimmers lag und die Steine in der Wand zählte. Ich weiß nicht, wie oder wann ich eine der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens traf. Ich weiß nur
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