Zarias Geheimnis
weinen würdest. Als sie verschwunden sind, warst du so still! Hast nie über sie gesprochen und immer einen großen Bogen um ihre Zimmer gemacht …«
Mehr sagte sie nicht. Sie blieb jedoch bei mir und half mir, in mein Nest aus Kissen zu kriechen.
Als mich Beryl frühmorgens weckte, dauerte es eine Weile, bis mir die scheinbar unvorstellbaren Ereignisse des Vortages wieder in den Sinn kamen. Ich war eine violette Elfe mit Magie-Stufe 100. Ich hatte Eisenfesseln in Staub verwandelt. Und ich hatte um meine Familie geweint.
Beryl erinnerte mich sofort daran, dass sie von mir erwartete, dass ich die Eisenfesseln wiederherstellte.
Ihre Anweisungen waren knapp und unwirsch, als sie mir den Zauber beibrachte, und ich kann nicht gerade behaupten, dass es gut lief. Zuerst stieg die Magie in meinem Zauberstab ständig auf das Höchstmaß an und erstarb dann wieder. Es verlangte mir die allerhöchste Konzentration ab, bis mir der Zauber gelang. Als die Eisenfesseln wiederhergestellt waren und auf dem wieder makellosen Boden lagen, saß Beryl ganz still da. Sie hatte einen gequälten Ausdruck im Gesicht, als hätte ihr jemand die Flügel verdreht.
»Beryl?«, begann ich. »Warum hast du mir immer gesagt, Eisen würde sich negativ auf Magie auswirken?«
»Weil es so ist.«
»Wieso können Eisenfesseln dann durch Magie zerstört oder gar wiederhergestellt werden?«
Sie seufzte. »Ehrlich gesagt, Zaria, wusste ich nicht, dass das, was du getan hast, überhaupt möglich ist. Eisen in Staub zu verwandeln!« Sie schüttelte den Kopf. »Und es dann wiederherzustellen …« Sie verschränkte nervös die Hände. »Am besten erzählst du niemandem davon.«
»Niemandem?«
»Niemandem. Versprich es mir, Zaria.«
Ich versprach es murmelnd. Meine Flügel hatten angefangen wehzutun. Beryl verhielt sich ungewöhnlich. Sie behandelte mich nicht wie einen Quälgeist, wie sie es sonst immer tat, aber ich war mir unsicher, was das bedeutete.
Es überraschte mich, als sie mir anbot, mir einen Beförderungszauber beizubringen.
»Beryl«, fragte ich zögerlich, »warum muss ich als violette Elfe überhaupt darauf achten, wie viele Radia ich verbrauche?«
»Deine Vorräte sind zwar groß«, erwiderte sie rasch, »aber wenn du leichtfertig mit ihnen umgehst, wirst du auch diese in kürzester Zeit aufbrauchen. Jetzt hör genau zu. Für den Beförderungszauber benötigst du Stufe acht. Um diese Eisenfesseln in meinen Korb zu befördern, bedarf es wahrscheinlich etwa drei Radia, aber wenn du dich selbst irgendwohin befördern willst – zur Schule, zum Beispiel –, würdest du mindestens zwanzig Einheiten verbrauchen. Das wäre reine Verschwendung.«
Ich nickte und wartete darauf, dass sie mir den Zauber beibrachte.
»Saturiere deinen Zauberstab auf Stufe acht. So ist es richtig. Geh nah an die Fessel heran, ohne sie zu berühren. Halte dir ihr Ziel vor Augen, richte deinen Zauberstab darauf, und sag: ›Transera nos.‹ Der Korb vor dir ist jetzt dein Ziel. Achte immer darauf, dich voll und ganzauf das Ziel zu konzentrieren, sonst kann der Zauber misslingen und der Gegenstand an einem ganz anderen Ort enden.«
Ich richtete meinen Zauberstab auf die Eisenfessel und konzentrierte mich auf Beryls Korb. »Transera nos.«
Die Eisenfessel landete so schnell im Korb, als existierte so etwas wie Zeit gar nicht.
»Ich habe gar nicht gesehen, wie sie sich bewegt hat«, sagte ich mit dem Blick auf die Fessel.
»Ja.« Beryl wirkte noch nervöser, beglückwünschte mich jedoch zu meinem Erfolg. »Perfekt befördert. Jetzt hör gut zu, Zaria. Versuche nie, irgendetwas – dich einbegriffen – durch die Pforte von Galena zu befördern. Das würde sofort den Alarm auslösen.«
»In Ordnung.« Ich musterte sie neugierig. Warum war sie so nervös?
»Und versuche nie, dich von Tirfeyne zur Erde oder von der Erde nach Tirfeyne zu befördern. Man kann mit einem Beförderungszauber nicht von einer Welt in die nächste wechseln«, fügte sie grimmig hinzu. »Wenn das möglich wäre, bräuchten wir keine Portale.«
»Danke.« Ich war froh, dass sie es mir gesagt hatte. Sonst hätte ich vielleicht tatsächlich probiert, mich magisch auf die Erde zu befördern. Ich steckte den Zauberstab zurück in die Tasche. »Funktioniert Elfenmagie auf der Erde genauso wie hier?«, fragte ich.
Beryls Flügel erstarrten. »Warum fragst du?«, wollte sie wissen. »Hat Blutstein recht? Bist du erdbesessen? Wenn es so ist, solltest du es mir lieber
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