Zarias Geheimnis
Lily dir angetan hat.«
Beryl blickte auf ihre Hände. »Die Erde ist gefährlich«, erwiderte sie. »Die Menschen sind heimtückisch. Das Elfenvolk hat so viel für sie getan. Wie du weißt, waren es Elfen, die den Menschen beigebracht haben, die Zeit zu lesen und Häuser zu bauen … ganz zu schweigen von den unzähligen magischen Gaben, die wir Menschenkindern verliehen haben. Aber sind sie uns dafür dankbar? Nicht im Geringsten.«
»Du weißt nicht, ob sie dankbar sind oder nicht«, wandte ich ein. »Wie können sie uns Dankbarkeit bezeigen, wenn wir sie uns nie sehen lassen?«
»Wenn sie uns sehen, wollen sie uns nur fangen. Man kann ihnen nicht trauen.«
Sie sind nicht alle gleich , dachte ich. »Warum hältst du Lily für teuflisch?«
Beryls Flügel hingen herab. Es trat ein langer Moment der Stille ein. »Ich habe wohl immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde«, sagte sie schließlich. »Und immer gehofft, dass es nicht so sein würde.«
»Welcher Tag?«
»Der Tag, an dem ich dir von Lily und deinen Eltern erzähle.«
Ein Hoffnungsschimmer breitete sich von meinem Herzen bis in die Spitzen meiner Flügel aus. Würde mich Beryl wirklich in die Geheimnisse einweihen, die mein Leben überschatteten? Da ich Angst hatte, diesen zerbrechlichen Moment zu zerschlagen, strengte ich mich an, nicht zu gespannt zu blicken, während sie sich fasste.
»Ich habe bis heute gewartet, mit dir darüber zu reden, weil Lily Morganit etwas gegen mich in der Hand hat«, fing sie an.
»Etwas?«
»Ja, aber ich glaube, du bist alt genug, um es zu verstehen.«
Und dann – war es zu fassen? –, war ein Klopfen zu hören. Es klopfte an unserer Tür und wurde zu einem lauten Hämmern, als wir nicht antworteten.
Beryl hob den Blick. »Was jetzt?« Sie saturierte ihren Zauberstab und streckte ihn aus. »Lygos nuy.«
»Zaria!«, rief jemand. »Zaria, bist du da? Mach auf. Bitte.«
Es war Leona.
Ich hatte kaum die Tür geöffnet, als mich Leona bereits am Arm packte. »Du musst mit mir mitkommen«, flehte sie.
Ich wich zurück. »Nicht jetzt. Ich kann nicht.«
Ihre geschwollenen und verzweifelt blickenden Augen waren fest auf mich gerichtet. Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Zari, ich würde dich sonst nicht fragen, aber du bist die einzige Elfe, der ich trauen kann.« Ihre silbernen Flügel kräuselten sich.
Leona ließ sich nicht leicht aus der Fassung bringen. Etwas Schreckliches musste passiert sein. Aber das war der denkbar schlechteste Augenblick, um mich zu bitten, mit ihr zu kommen.
»Aber, Leona, ich …«
Beryl erhob sich von ihrem Hochsitz. »Leona? Stimmt etwas nicht?«
Leona brachte ihre Flügel unter Kontrolle. »Es ist nichts, Frau Danburit. Aber könnte Zaria vielleicht mit zu mir kommen?«
Beryl zögerte keinen Augenblick, mir ihre Erlaubnis zu geben. Sie sah erleichtert aus. Das überraschte mich nicht – jetzt konnte sie unser Gespräch noch einmal verschieben.
»Beryl«, sagte ich. »Versprich mir, dass du mir bei meiner Rückkehr …«
»Ich verspreche es, Zaria. Ich werde hier sein, wenn du zurückkommst.«
Beryl hatte mir gegenüber noch nie ein Versprechen gebrochen, aber was war, wenn sie dieses Mal ihre Meinung änderte?
»Warte.« Sie eilte mit Sams Stift zu mir. »Dein Zauberstab.«
Ich steckte ihn in eine Tasche meines Kleids und flog mit Leona nach draußen.
Die Sonne stand tief am Horizont, und Lichtstrahlen spiegelten sich in den Turmalin-Steinen, die in unserem Dach eingebettet waren. Zum Glück waren die neugierigen Elfen nicht mehr da, die vor unserer Tür herumgelungert hatten.
»Wo gehen wir hin?«, fragte ich, als Leona und ich immer höher aufstiegen.
»Zur Erde«, erklärte sie und flog schneller.
»Zur Erde! Das geht nicht.« Ich konnte kaum mit ihr mithalten.
Was tat Lily Morganit wohl gerade in diesem Moment? Vielleicht besprach sie sich noch mit Zirkon und Wolframit. Aber was war, wenn sie jetzt in einer Aussichtskabine saß? Sie schien mich voll und ganz durchschaut zu haben. Es war fast so, als wüsste sie, was ich tun würde, noch bevor ich es tat. Was war, wenn sie erriet, dass ich heute Abend noch einmal auf die Erde reisen würde? Wie viel schlimmer konnten die Dinge noch werden?
Leona wandte sich mit grimmiger Miene zu mir um. »Du kannst dich unsichtbar machen. Ich zeige dir, wie.«
»Ich habe meinen Zauberstab nicht dabei.«
»Doch, hast du. Beryl hat ihn dir gegeben. Ich hab’s gesehen.«
»Leona, ich wollte unbedingt mit dir reden,
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