Zarias Geheimnis
notwendig, um etwaige Ausbruchsversuche zu verhindern. Ich hingegen hatte meinen Zauberstab noch und umklammerte seinen schmalen Griff unter dem schrecklichen Mantel.
Aber mein Zauberstab fühlte sich noch unmagischer an, als der Stift, den ich mir von Sam geborgt hatte. Wowar meine Magie? Wie konnte der Troll-Mantel meinen Zauberstab in etwas verwandeln, das so leblos war, als gehörte er einer toten Elfe und nicht mir?
Die Zwerge stellten sich in Reih und Glied um den fahrenden Käfig herum auf. Lily schwebte ein oder zwei Minuten in der Luft und gab Anweisungen, bevor sie davonflog.
Der Wagen setzte sich in Bewegung, und der Mantel wurde wieder schwerer, wie eine Gebirgsmasse, die man über mir aufgetürmt hatte.
Ich dachte an Meteor. War er zu dem leeren Balkon zurückgekehrt? Was würde er tun, wenn er von meiner Gefangennahme hörte?
Nach einer halben Ewigkeit blieb der Wagen endlich stehen, als sich die Sonne in all ihrer Pracht über den Horizont erhob. Der Tag war angebrochen.
Ein merkwürdiges Quietschen und Donnern erfüllte die Luft. Durch die Gitterstäbe erblickte ich eine zerlumpte Meute, die sich um den Wagen drängte. Sie stimmten einen Sprechchor an: »Freiheit für Zaria! Freiheit für Zaria!«
Die Zwerge waren nach wie vor um den Wagen postiert, aber die Menge stieß immer weiter vor. Ich erkannte die Elfe mit dem blauen Gesicht, die mich vor der EOM-Kuppel gerügt hatte, als wir beide auf Leona warteten. Sie flitzte zwischen den Zwergen hin und her und riss ihnen die Helme vom Kopf. Manche Zwerge duckten sich, aber sie war sehr schnell. Zwei kräftig gebaute Elfen packten gemeinsam einen Zwerg und flogen mit ihm davon. Ein anderer sprang in die Lücke, die sie hinterließen, und kam nahe genug heran, um seine Hand durch die Stäbe zu stecken.
Schwarzes Haar, recht kränklich aussehende grüne Haut und kreisrunde Augen. Es war Seth.
»Ich wusste, dass du es sein musstest, nach der sie suchen«, rief er. »Wir holen dich hier raus.«
Hinter ihm wurde ein weiterer Zwerg in die Lüfte gehoben.
»Bitte«, flüsterte ich. »Befreie mich von diesem Mantel.«
Obwohl er mich bei dem vielen Geschrei nicht gehört haben konnte, hatte er mich offenbar verstanden. Erstreckte die Hand aus und griff nach dem Kragen des Mantels. Er ließ ihn sofort wieder los, als hätte ihn ein Schwarm Insekten gestochen.
»Oberons Krone«, rief er. »Was ist das?«
Troll-Magie. Ich fragte mich, was sie mit Seth anstellte.
Er biss die Zähne zusammen und steckte die Hände noch einmal in den Käfig. Während er wild bei allen Trollen, Elfen und Gnomen vor sich hin fluchte, tat er sein Bestes, die Kapuze des Mantels zurückzuziehen.
»Danke«, sagte ich lautlos, weil ich nach wie vor nicht mehr als ein Flüstern bewerkstelligen konnte.
Er griff nach dem Knopf an meinem Hals und hantierte daran herum. Bevor er ihn ganz öffnen konnte, verzerrte er das Gesicht vor Schmerz und riss die Hände aus dem Wagen. Er sank auf den Boden, und ein knüppelschwingender Zwerg tauchte an seiner Stelle auf. Es war der Zwergenanführer – der mit dem gespaltenen Kinn.
Die Elfe mit dem blauen Gesicht schoss auf ihn zu, um ihn anzugreifen. Er zielte mit seinem Knüppel auf ihre Flügel, als wäre sie eine riesige Motte. Sie schrie auf und torkelte davon. Ein Elf stieß herab und bekam einen Schlag auf die Schienbeine ab. Auch er flog mit einem Schmerzensschrei wieder davon.
Zwerge, die Elfen Schaden zufügten? Versuchten , sie zu verletzen! Wie konnte das sein? Wie konnte das geschehen?
Aber jetzt hielten alle Zwerge Knüppel in den Händen und zermalmten und zerschlugen jeden, der sich nahe genug heranwagte.
Dann erhob sich eine magisch verstärkte Stimme über den Klagelauten und dem Wutgeschrei: »Die Radia-Garde ist eingetroffen! Zerstreut euch oder spürt den Zorn des Hohen Rates …«
Ich blickte auf und sah eine dicht gedrängte Gruppe Elfen, die sich in goldenen Gewändern aus westlicher Richtung näherte.
Die Radia-Garde.
Ich hörte das Surren schlagender Flügel und das Rauschen magischer Füße, als sich die Menge zersprengte, die meine Freilassung verlangte.
Der fahrende Käfig setzte sich wieder ruckartig in Bewegung, und ich hielt verzweifelt nach Seth Ausschau, um zu sehen, was ihm zugestoßen war, doch die grimmig blickenden Zwerge, die mich umstellten, versperrten mir die Sicht.
Völlig erschöpft und ausgelaugt fiel ich in dem ruckelnden Wagen in einen von Albträumen geplagten Schlaf.
Stunden später
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