Zarias Geheimnis
wachte ich auf und stellte fest, dass man mich gegen die Gitterstäbe des Messingkäfigs gelehnt hatte. Ein Zwerg hielt direkt vor den Stäben Wache. Laz’ grässlicher Mantel war immer noch fest um mich geschlungen, aber man hatte die Kapuze, die mir vom Kopf gerutscht war, nicht angerührt. Ich umklammerte weiterhin meinen nutzlosen Zauberstab und bewegte mich nicht.
Zwei Flügelspannweiten entfernt stand Leona in einem anderen Käfig. Ihre silbernen Flügel waren mit einen dicken Seil zusammengebunden; sie hingen schlaff und glanzlos herunter, und die Brandwunde von Jasons Laserpistole stach schaurig hervor. Ihr Haar fiel ihr lose, zerzaust und stumpf über den Rücken.
Ich versuchte, ihren Blick zu erhaschen, aber sie sah starr auf die andere Seite eines riesigen Saals, durch den das Raunen von zehntausend Elfen hallte. Allem Anschein nach befanden wir uns in der großen Halle der EOM-Kuppel. Zwerge standen in Reih und Glied entlang der Wände.
»Leona«, sagte ich, aber obwohl ich mich bemühte, laut zu rufen, brachte ich kaum mehr als ein Flüstern heraus, und sie drehte sich nicht in meine Richtung.
Dem Podium gegenüber, auf dem unsere Käfige standen, befand sich ein langer Tisch aus Granit. Am Tisch thronten zwölf Elfen, die mit Oberons Rubinen besetzte Armreife trugen. Magistria Magnetit, deren Rubin-Anhänger um ihren Hals glitzerte, hatte den Vorsitz. Auf dem Tisch lag in ihrer Reichweite ein langes, schmalesund mit rostigen Ketten verschlossenes Eisenkästchen mit einem altmodischen Vorhängeschloss aus Titan.
Leonas Zauberstab.
Ich erkannte Ratsmitglied Zirkon, dessen weißes Haar einer Eiskrone glich. Und Wolframit, der sich nervös an seiner Knollennase zupfte, seine orangefarbene Haut noch fleckiger als sonst. Die anderen Ratsmitglieder kannte ich nicht.
Hinter dem Hohen Rat stand eine große Eskorte der Radia-Garde in goldschimmernden Gewändern mit eiskalten Mienen und gezogenen und saturierten Zauberstäben. Es war etwa eine Hundertschaft – viel mehr als bei der feierlichen Überreichung unserer Uhren und Zauberstäbe. Der große, goldhäutige Anführer stand ein wenig abseits von den anderen. Sein Blick lag auf mir.
Hinter dem Podium hing ein dunkelblauer Vorhang. Ich bewunderte die beruhigende, tiefdunkle Farbe. Wie sehr sie sich von der scheußlichen Troll-Magie unterschied, in die ich geschlungen war!
Magistria Magnetit hielt sich ihren Zauberstab an die Kehle. Ihre verstärkte Stimme erhob sich über das Raunen im Saal: »Der Prozess ist hiermit eröffnet.«
Die große Halle verstummte sofort.
»Alle Zuschauer sind angehalten, die Füße nicht vom Boden zu nehmen. Sowohl Fliegen als auch In-der-Luft-Schweben ist strengstens untersagt.«
Aufgeregtes Flügelschlagen erfüllte den riesigen Saal, bevor alle die Füße auf den Boden setzten. Mit einemflauen Gefühl im Magen suchte ich in der Menge nach vertrauten Gesichtern.
Ich hielt nach Beryl Ausschau, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Ganz hinten neben der Tür am anderen Ende des Saales bemerkte ich Laz, der mit seiner hoch aufgeschossenen Statur leicht auszumachen war. Er runzelte die Stirn.
Ein blauhaariger Elf in der Nähe des Haupteingangs hüpfte und winkte. Es war Andalonus, das erste freundliche Gesicht in der Menge. Neben ihm stand Meteor, den Blick starr auf den Hohen Rat gerichtet, die weißen Augenbrauen zusammengezogen und das gestreifte Haar zerzaust. Er trug dasselbe einfache Gewand, auf das gestern Abend das Elixier ausgelaufen war; ich konnte sogar den Fleck noch sehen.
So als spürte er meinen Blick auf sich, sah Meteor auf, und obwohl uns ein Messingkäfig, ein Podium und mehrere Reihen Elfen voneinander trennten, hatte ich einen Moment lang das Gefühl, ich könnte ihn neben mir spüren.
Dann segelte eine Wolke aus Satin in mein Sichtfeld, und ein widerlicher Liliengeruch stieg mir in die Nase. Lily Morganit stand schadenfroh in einem weiteren eleganten Kleid vor meinem Käfig, prächtige Rubine waren in ihr Haar geflochten.
Sie gab einem Zwerg ein Zeichen. Und wieder erkannte ich den Zwerg mit dem gespaltenen Kinn, der Seth niedergeknüppelt hatte. Er holte einen großen Schlüssel hervor und steckte ihn in die Tür meinesKäfigs. Er winkte mir zu. Als ich mich nicht vom Fleck rührte, streckte er die Hand aus und zog mich heraus.
Er setzte mich auf die Füße, doch mittlerweile konnte ich weder fliegen noch laufen. Wie ein Sandsack kippte ich auf den Steinboden.
Zwei Zwerge stellten mich wieder
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