Zaster und Desaster

runter.
    So, dachte, Kuster, nun noch fünf Minuten warten, bis sich die Wirkung voll entfaltet hat, dann schleife ich Wladimir in die Karibik und leiere aus ihm mindestens 100 Mio raus, und alles ist paletti. Zwei Stunden später öffnete Müller vorsichtig die Türe zu Kusters Büro, sah, dass sein Chef mit dem Kopf auf dem Schreibtisch friedlich schnarchte, schloss sie wieder und beschloss, sich heute einen freien Nachmittag zu gönnen.

Achtunddreißig
    »Ja, genau so sehe ich das auch«, sagte Äbersold, »wenn ich Ihnen da noch etwas das Big Picture geben darf: Bei den aktuellen Verwerfungen auf den Finanzmärkten haben Depotkunden ja im Schnitt über 30 Prozent eingebüsst. Buchverluste, wohlgemerkt, denn abgesehen von einigen Übertreibungen sind ja viele Titel im Moment deutlich unterbewertet. Und im Vergleich dazu haben Sie mit einer momentanen Underperformance von 21 Prozent absolut über dem Benchmark abgeschlossen, was ich nicht zuletzt unseren bescheidenen Bemühungen zuschreiben darf. Sie können sich vorstellen, dass ich höchstpersönlich manchmal rund um die Uhr in meinem Büro war, um mich um die mir anvertrauten Portefeuilles zu kümmern. Bitte sehr, gerne geschehen, auf Wiederhören.«
    Das war einfach, dachte Äbersold, der Schwachkopf hat sich sogar noch bei mir bedankt. Dabei sollte der doch wissen, dass man bei einer Finanzkrise auf dem Golfplatz mindestens so gut positioniert ist wie am Schreibtisch. Denn alle strategischen Anlageentscheidungen werden ja heutzutage von Computern getroffen, denen Analysten ständig neue Algorithmen füttern, die genauso nutzlos sind wie ihre Vorgänger, wenn es darum geht, eine zukünftige Entwicklung zu prognostizieren. Vielleicht werde ich langsam zu alt für den Scheiß, dachte Äbersold, während er gelangweilt seinen Terminkalender für den heutigen Tag betrachtete. Irgendwann kann ich mich nicht mehr zusammenreißen und sage dem nächsten reichen Sack, der über ein paar verlorene Millionen jammert, einfach mal die Wahrheit. Und wie sähe die aus, überlegte Äbersold.
    Vielleicht so: Haben Sie geldgieriger Sack sich eigentlich mal überlegt, dass all das Gequatsche von maßgeschneiderter Anlagestrategie, ausgewogene Investitionen in risikominimierende Fonds und andere Anlagevehikel nichts als heiße Luft ist? Keine Wissenschaft, sondern reine Alchemie? Kennen Sie hingegen das wissenschaftliche Experiment nicht, als man zwei Anlagespezialisten gegen einen Schimpansen antreten ließ? Die Anlagespezialisten ließen ihre Computer Terabite von Finanzinformationen durchkauen, der Schimpanse warf mit Pfeilen auf eine Scheibe mit vier verschiedenen Farben, und je nachdem, welche Farbe er traf, wurde für ihn Geld investiert. Und der Schimpanse hat natürlich gewonnen, das nenne ich mal ein finanzwissenschaftliches Experiment mit Aussagekraft. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht.
    Wenn Ihnen das auch noch zu schwierig ist, um es zu verstehen, dann erkläre ich es Ihnen mal ganz einfach. Ein Derivategebastel muss ja zuerst gebastelt werden, nicht wahr. Total return funds with currency equivalent and cross based on linked notes, wissen Sie, was da der Wortschnitzer alleine schon kostet? Und dann Legal, die mehrere Seiten juristischer Beipackzettel absondern müssen, damit die Bank von jeder Verantwortung freigestellt ist, wenn der Schrott absäuft. Okay, dann die ganzen Verpackungs- und Umpackungskünstler, dann die Distribution des Schrotts auf den Markt, die Hochglanzbroschüren, stundenlanges Gequatsche mit habgierigen Kunden wie Ihnen, dann der ganze Abrechnungsquark. Na, haben Sie jetzt eine dunkle Ahnung, was für eine Maschinerie da in Bewegung gesetzt wird, damit Sie am Schluss Ihre Unterschrift unter ein Papier setzen, von dem Sie nichts, aber überhaupt nichts verstehen? Und dann müssen Sie ja ständig mit Performance-Papers, Chartanalysen, Bilanzen, Outlooks und all so einem Unsinn zugeschüttet werden, den Sie zwar ungelesen wegschmeißen, der aber nötig ist, damit Sie ein gutes Gefühl haben. Und dann der ganze Papierkram, um das Zeugs ordentlich zu verbuchen, abzurechnen, was da alleine für Zinseszinsrechnungen abgewickelt werden, unvorstellbar.
    Okay, lieber Geldsack, Sie haben das Big Picture gesehen? Prima, dann erkläre ich Ihnen noch den springenden Punkt: Wenn Sie also am Schluss ein Stück Papier in der Hand haben, auf das wir Ihnen rosarote Elefanten, goldene Wölkchen und einen stetigen warmen Geldregen versprechen, achten Sie