Zaster und Desaster
Geschäfts.« Ach ja, dachte Kuhn bitter, die Bonusdebatte ist offensichtlich nicht bis nach Oberbümpliz vorgedrungen. »Also ich bin mir sicher, dass Sie mit dieser beeindruckenden Ausbildung problemlos eine Stelle finden, die Ihren Fähigkeiten …«, wollte der Direktor das Gespräch abschließen.
»Bitte geben Sie mir doch eine Chance«, winselte Kuhn, »ich brauche einfach einen Neuanfang, eine Aufgabe, einen Platz in dieser Welt!«
Indigniert lehnte sich der Direktor in seinem Schreibtischstuhl zurück: »Haltung ist auch eine Grundvoraussetzung für das Ausüben unseres Berufs, Herr Kuhn, ich muss doch sehr bitten. Dieses Gespräch ist beendet.«
Der Direktor stand auf, knöpfte sich aus alter Gewohnheit seinen tadellosen Zweireiher zu, ein gute gepflegtes Stück, das er sich vor zwanzig Jahren beim lokalen Herrenausstatter erworben hatte, drückte Kuhn sein Hochglanzbewerbungsmäppchen in die Hand und wies zur Türe: »Geben Sie doch Fräulein Baumeler Ihren Parkschein, Sie bekommen dann einen Bon zur Gratisausfahrt.«
»Ich habe kein Auto mehr«, brach es aus Kuhn heraus, »ich habe nicht mal mehr das Geld für die Rückfahrkarte.«
Der Direktor schloss kurz die Augen, dann griff er in seine Gesäßtasche und brachte ein abgewetztes Lederportemonnaie zum Vorschein.
Er fingerte einen Fünfziger heraus, zögerte kurz und legte noch einen Zwanziger obendrauf: »Mehr kann ich wirklich nicht für Sie tun, Herr Kuhn, ich hoffe, dass Sie sich wieder aufrappeln, aber hier ist wirklich nicht der richtige Platz für Sie.«
Eine Viertelstunde später saß Kuhn im Bahnhofsbuffet Oberbümpliz und bestellte das erste große Bier und dazu einen doppelten Kräuterschnaps. Fünf Bier und fünf Doppelte später teilte ihm die Serviertochter resolut mit, dass nun Sperrstunde sei, kassierte seine letzten siebzig Franken und machte ihn darauf aufmerksam, dass der letzte Zug nach Bern in fünfzehn Minuten auf Perron zwei abfahre. Aber Vorsicht, auf Gleis eins käme dann in zehn Minuten der Schnellzug nach Thun, revanchierte sie sich noch für fünf Franken Trinkgeld. Kuhn wankte in die Nacht hinaus, stieg vom Bahnsteig herunter und folgte den Gleisen einige hundert Meter in die Dunkelheit. Bald sah er in der Ferne die Scheinwerfer des heranbrausenden Intercitys heller und größer werden.
Einundvierzig
Max Fischer saß am Schreibtisch seiner Suite im Astoria, als wäre nichts geschehen. Nur den Blick auf den Central Park konnte er nicht richtig genießen, und er war in seinen Grundfesten erschüttert. Er hatte immer gemeint, auf der Welt gäbe es nichts Mächtigeres als die Schweizer EBS, stabil wie das Matterhorn, wehrhaft wie die Gotthardfestung, und im Zweifelsfall müsste er nur mit dem roten Pass mit dem weißen Kreuz drauf winken, und er bekäme einen Freifahrtschein in allen Lebenslagen.
Aber Joe Smith, der gar nicht so hieß, hatte ihm gezeigt, dass es noch ein wichtigeres Papier als den Schweizer Pass gab: Die »Du kommst aus dem Gefängnis frei« -Karte. Wie ich aus der Nummer wieder rauskomme, dachte Fischer melancholisch und klappte seien Laptop auf. Er gab sein Passwort ein, um die 128-Bit-Verschlüsselung zu starten. Bevor er die streng geheime Kundenliste aufrufen konnte, poppte ein neue Fenster auf: »Bravo, Max, Sie haben heute noch drei Telefontermine und einen Dinner-Termin. Wir würden das Masa empfehlen, im Time Warner Center. Exquisit, und vor allem mit gutem Empfang. Cheers. Joe.« Fisher seufzte, »zen-like sushi temple« las er auf der Homepage, dabei mochte er nicht wirklich Sushi. Aber das war, wie vieles andere, nicht mehr seine Entscheidung.
Als er das Masa anrief, bestätigte man ihm, dass für heute Abend der VIP-Tisch reserviert sei. Kleine Demonstration von Joe, der ihm in einem fensterlosen, grauen Raum kurz die neuen Spielregeln erklärte, nachdem er ihm als Geste des guten Willens die Handschellen abgenommen hatte. »Ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können«, hatte Joe gesagt. Und ihm die Alternativen ausgemalt: Knast auf unbestimmte Zeit ohne Kontakt zur Außenwelt, kein Problem unter dem Patriot Act, dann Prozess oder ein paar Jährchen Ausreiseverbot als material witness, keine schöne Sache. Fischers Verteidigung, er sei ein harmloser Schweizer Geschäftsmann auf Urlaub, war spätestens in dem Moment zusammengebrochen, als Joe ihm vorführte, dass die NSA durch den angeblich unknackbaren Verschlüsselungscode seines Laptops in Minutenschnelle durchmarschiert war.
»Das Hemd
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