Zaster und Desaster
Schluck von ihrem Tee und stellte fest, dass er kalt geworden war. Auch das noch, dachte sie und wartete darauf, dass ihr Gatte mit einer Flasche in der Hand wieder auftauchen würde, wie er das ja fast jeden Abend auch tat. Nach zwanzig Minuten war der Tee immer noch kalt und ihre Geduld am Ende. Oder besäuft er sich gleich im Weinkeller, dachte sie, das darf ja nicht wahr sein, jetzt muss ich ihm auch noch den Schlüssel wegnehmen. Als sie so wütend, wie es ihre Pillen zuließen, in den Keller stürmte, Naturboden, klimatisiert, von unten bis oben mit Tonröhren ausgekleidet, in denen die Flaschenbatterien perfekt gelagert auf ihren Einsatz warteten, sah sie ihn, wie er mit seltsam abgewinkeltem Genick an seiner Krawatte von einem der an der Decke verlegten Heizungsrohre baumelte und ihr seine dunkelblau angelaufene Zunge rausstreckte. Aus seinem rechten Hosenbein tröpfelte etwas Hellbraunes auf den Boden, und die Klimaanlage hatte Mühe, den Gestank aus dem Raum zu saugen.
Frau Künzli hielt sich ihr Fendi-Foulard vor die Nase und fragte sich, ob die Lebensversicherung auch bei Selbstmord zahlt.
Sechsundvierzig
Hugentobler war gerade dabei, seinen Schreibtisch bei der EBS leer zu räumen, als das Telefon klingelte. Ich brauche nichts, dachte er leicht amüsiert, kein Geld mehr, keine Aufträge mehr, keine Anrufe mehr. Er hob den Apparat vom Schreibtisch und schmiss ihn mit voller Kraft in den Computerbildschirm. Ich brauche auch keinen Computer mehr, ist zu unhandlich auf dem Golfplatz.
Drei Minuten später stand sein COO höchstpersönlich vor seinem Schreibtisch und betrachtete missbilligend den Schaden, den Hugentobler angerichtet hatte.
»Welch seltene Ehre«, sagte Hugentobler, »können Sie mir von meiner Frühpensionierung abziehen. Nett, dass Sie sich persönlich von mir verabschieden wollen, endlich mal eine menschliche Geste.«
Der COO zuckte etwas mit dem Mund, nahm sich seine schwarze Hornbrille ab und deutete auf die Besucherecke, dunkelgrauer Marmortisch, handpoliert, Ribchestersofa und zwei passende Sessel, hatte Hugentobler mal gefallen. Er nahm den silbernen EBS-Brieföffner zur Hand und kratzte damit EBS ins Leder seines Regency-Schreibtisches, was die Zuckungen in den Mundwinkeln des COO verstärkte. »Auf ein Wort, bitte«, sagte der COO, und Hugentobler zog überrascht die Augenbrauen hoch.
»Stehen die Green Berets schon vor der Türe?«, fragte er, »wurde endlich ein internationaler Haftbefehl gegen die ganze Geschäftsleitung erlassen? Tut mir leid, ich würde Sie ja gerne auf eine Runde Golf in meinem neuen Privatclub einladen, aber der liegt in den USA, und dahin reist ja kein Schweizer Banker freiwillig. Aber okay, ich will ja nicht unhöflich sein.«
Sie setzten sich, der COO hielt seine Hornbrille weiterhin in der Hand und massierte sich mit zwei Fingern die Nasenwurzel. Schon erstaunlich, dachte Hugentobler, mal ein bisschen Gegenwind, und der Lack blättert schnell ab vom großartigen, überheblichen, siegessicheren Banker, der selbstverständlich alles im Griff hat.
»Ich kann mich hoffentlich weiter auf Ihre Diskretion verlassen, lieber Herr Hugentobler«, sagte der COO, »in der Anspannung der letzten Wochen und Monate habe ich vielleicht nicht immer den richtigen Ton getroffen, wofür ich«, der COO schluckte leer, »um Entschuldigung bitte.« Du kannst mich mal, dachte Hugentobler und lächelte freundlich. »Ich möchte Sie, das muss aber unter uns bleiben, darüber informieren, dass ich per Ende Monat von meinen Ämtern in dieser Bank zurücktreten werde.«
»Welcome to the club«, sagte Hugentobler verbindlich, während er dachte, hoffentlich will es nicht das ungnädige Schicksal, dass wir uns dann in meinem Golfclub über den Weg laufen.
»Es gibt da allerdings, und Sie sehen, dass ich wirklich völlig offen zu Ihnen bin, noch eine kleine Restanz in Verbindung mit meiner Tätigkeit als Chief Legal Counsel, die wir noch aus dem Weg räumen wollen.« Du meinst, dass du Schiss hast, dass dich die Amis noch nachträglich am Schlafittchen packen, weil du als Chefrechtsberater der EBS über Jahre aktive Steuerhinterziehung von Amis abgenickt hast, dachte Hugentobler. Tja, ein Scheißproblem, muss ich zugeben, kann einem den ganzen Ruhestand versauen.
»Ich sehe das Problem«, sagte Hugentobler, »die Amis können ganz schön nachtragend sein, und wer möchte schon auf der Straße gekidnappt und in ein geheimes Foltergefängnis in Polen gesteckt werden.«
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