Zauber der Begierde
Bettes aus zu
lesen.
Träume über vollgestopfte
Kommoden können vielerlei Dinge symbolisieren: Der Träumer ist emotional gehemmt.
Emotionale und/oder psychische Reinigung ist empfohlen. Ein wiederkehrender
Traum dieser Art zeigt, daß der Träumer ein traumatisches Erlebnis hatte, von
dem er/sie sich auf irgendeine Weise befreien muß, oder es kann eine ernsthafte
psychische Schädigung auftreten.
Soviel zu Fingerzeigen Gottes.
Adrienne verschluckte ein
unterdrücktes Lachen, das zu einem Schluchzen wurde. Wer um alles in der Welt
schreibt einen solchen Quatsch?
Sie ließ ihren nackten Fuß aus
dem Bett baumeln und klappte das Buch mit einem Zeh zu. Tausendundeinen Traum. Wie bizarr. Sie wußte nicht
einmal, daß sie das Buch in ihrer Bibliothek hatte. Noch bizarrer, daß sie seit
zehn Nächten ununterbrochen von Ankleidezimmern geträumt hatte. Sonst nichts.
Nur verstopfte, überquellende Kommoden.
Entzückend.
Aber
sie mußte nicht von einem Traumdeutungs-Ratgeber darauf gestoßen werden. Sie
wußte, was mit ihr nicht stimmte. Vor fünfzehn Tagen hatte sie sich in ihrem
weiträumigen viktorianischen Haus auf der Cottail Lane 93, Seattle, U.S. A.
materialisiert.
Und
seitdem hatte sie mit keiner Menschenseele gesprochen. Jeden Fetzen Energie,
den sie besaß, benutzte sie dazu, ihre Fassung zu bewahren - ihre kalte Haut.
Kalte trockene Augen. Kalter kleiner Tod, der sich in ihrem Inneren vollzog.
Sie begriff nur zu gut, daß sie, sollte sie auch nur eine winzige Träne aus
ihrem trockenen Augenwinkel fließen lassen, nicht für die Überflutungen zur
Verantwortung gezogen werden könnte, die Massenevakuierungen im ganzen Staat
zur Folge hätten.
Sie
kratzte mit kleiner kalter Hand über ihre kalte Kopfhaut, während sie kurz
über Moonies seidenweichen Rücken strich. Sie berührte Moonies pinkfarbene Nase
mit einer kalten, sparsamen Bewegung. Keine überquellenden Kommoden in deiner Katzenwelt, dachte sie, als Moonie ihre
Pfoten in Adriennes Haar einrollte und ein leise brummendes kleines Schnurren
ertönen ließ.
Es
war Moonies hungriges Miauen, das sie vom Bett aufstehen ließ. Adrienne
schälte ihren schmerzenden Körper aus den Bettdecken und schlurfte langsam in
die Küche.
Gott,
sie fühlte sich, als wäre sie selbst 500 Jahre alt, von Kopf bis Fuß
schmerzerfüllt von Herzweh, von dem sie wußte, daß es niemals heilen würde.
Adrienne
öffnete ausdruckslos eine Büchse Thunfisch. Weißer Albacore. Nur das Beste für
Moonie. Sie sank zu Boden und fegte irritiert nach der Hand, die ihr ein Buch
vors Gesicht hielt. »Geh weg, Maria, ich muß allein sein.« Adrienne staunte
über die blassen, limonenfarbenen Wirbel auf den Jadekacheln des
Küchenfußbodens. Schieferkacheln konnten so interessant sein. In der Tat
fesselnd.
»Iiis
Buch, sie fallen ließen«, sagte Maria mit ihrem starken Akzent. Adrienne
bewegte sich nicht. Das Buch berührte ihre Wange. Himmel, war diese Frau
hartnäckig. Die scharfkantige Ecke des Buches stieß gegen die weiche Haut
ihres Halses. Wahrscheinlich noch ein dummes Traumbuch. Na, sie würde einfach
nicht hinsehen.
»Hör
auf, mich zu bedrängen.« Adrienne nahm das Buch blind, mit zugepreßten Augen.
»Geh jetzt«, murmelte sie. Da. Das war gar nicht so schlecht. Sie applaudierte
sich selbst, daß sie einfache Funktionen mit Präzision ausgeführt hatte. Keine
Tränen. Nicht ein Gedanke an... die Sache, an die sie nicht dachte. Adrienne
atmete tief durch und zwang sich zu einem grimmigen, verkrampften Lächeln.
Sie
befand sich auf dem Weg der Besserung. Zuerst kleinere Dinge - bald große
Dinge.
»Ich
glaube, ich mache Ihnen Tee «, sagte Maria. Adriennes Magen hob und senkte sich
und drehte sich um. »Nein.«
»Ich
glaube, dann, ich mache Essen für Senorita.«
»Ich
habe keinen Hunger. Geh weg.«
»Okay.
Ich bringe Sachen in Garage«, brummte Maria.
Umziehen?
Das Haus verlassen? »Nein!« Adrienne hielt ihre Stimme mit ungeheurer
Anstrengung unter Kontrolle. »Ich meine, das ist nicht nötig, Maria. Dieses
alte Haus ist weiß Gott groß genug für uns beide.«
»Iiis
nicht gut. Ich nicht gut für Sie. Ich ziehe wieder um in Garage.« Maria
beobachtete sie vorsichtig.
Adrienne
seufzte. Maria mußte im Haus bleiben. Sie würde diese gewaltige, schmerzhafte Stille nicht
aushalten. Die leeren Räume. Das Summen des Kühlschranks könnte sie in den
Wahnsinn treiben.
»Maria,
ich möchte nicht, daß du wieder ausziehst. Ich möchte wirklich mit...«
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