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Zauber der Schlange

Zauber der Schlange

Titel: Zauber der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Eddings
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sie kochte.
    Am nächsten Morgen nach dem Frühstück zog Garion eine wollgefütterte Überweste an, gürtete sein Schwert um und ging wieder hinaus in die nebelverhangenen Ruinen, um nach Hettar Ausschau zu halten. Es war eine Aufgabe, die er sich selbst auferlegt hatte, und er war dankbar, daß keiner seiner Freunde ihm sagte, dies sei eigentlich unnötig. Während er durch die mit Schneematsch bedeckten Straßen stapfte und auf das Westtor der Stadt zuhielt, bemühte er sich ganz bewußt darum, die melancholischen Grübeleien zu vermeiden, die den vergangenen Tag verdüstert hatten. Da er die Umstände absolut nicht ändern konnte, würde es ihm nur einen schalen Geschmack im Mund einbringen, wenn er weiter darauf herumkaute. Er war nicht gerade fröhlich, als er das niedrige Mauerstück am Westtor erreichte, aber auch nicht schwermütig.
    Die Mauer bot etwas Schutz, aber die feuchte Kälte kroch immer noch durch die Straßen, und seine Füße waren bereits kalt. Er schauderte und setzte sich, um zu warten. Es hatte keinen Zweck, bei dem Nebel versuchen zu wollen, weit zu sehen, also konzentrierte er sich darauf zu lauschen. Seine Ohren begannen, die Geräusche im Wald jenseits der Mauer auseinanderzuhalten, das Tröpfeln des Wassers von den Bäumen und hin und wieder das feuchte Plumpsen, wenn Schnee von den Ästen glitt, das Picken eines Spechts an einem toten Baumstumpf in einigen hundert Metern Entfernung.
    »Das ist meine Kuh«, sagte plötzlich eine Stimme aus dem Nebel.
    Garion erstarrte und lauschte schweigend.
    »Dann halte sie auch auf deiner eigenen Weide«, entgegnete eine andere Stimme.
    »Bist du das, Lammer?« fragte die erste Stimme.
    »Richtig. Du bist Detton, nicht wahr?«
    »Ich habe dich nicht erkannt. Wie lang ist es her?«
    »Vier oder fünf Jahre, glaube ich«, schätzte Lammer.
    »Wie stehen die Dinge in deinem Dorf?« fragte Detton.
    »Wir hungern. Die Steuern nehmen uns alles.«
    »Uns auch. Wir haben schon gekochte Baumwurzeln gegessen.«
    »Das haben wir noch nicht versucht. Wir essen unsere Schuhe.«
    »Wie geht es deiner Frau?« fragte Detton höflich.
    »Sie ist letztes Jahr gestorben«, antwortete Lammer mit flacher, unbeteiligter Stimme. »Unser Herr hat unseren Sohn als Soldat eingezogen, und er ist irgendwo in einer Schlacht umgekommen. Sie haben kochendes Pech auf ihn gegossen. Danach hat sie aufgehört zu essen. Sie hat nicht lange gebraucht, um zu sterben.«
    »Das tut mir leid«, sagte Detton mitfühlend. »Sie war sehr schön.«
    »Sie sind jetzt beide besser dran«, erklärte Lammer. »Sie frieren und hungern nicht mehr. Was für Baumwurzeln habt ihr gegessen?«
    »Birke ist am besten«, sagte Detton. »Fichte ist zu harzig, und Eiche ist zu hart. Du mußt etwas Gras zusammen mit den Wurzeln kochen, damit sie etwas Geschmack bekommen.«
    »Das muß ich mal versuchen.«
    »Ich muß zurück«, sagte Detton. »Mein Herr hat mir befohlen, Bäume zu fällen, und er läßt mich auspeitschen, wenn ich zu lange fortbleibe.«
    »Vielleicht sehen wir uns mal wieder.«
    »Wenn wir beide dann noch leben.«
    »Wiedersehen, Detton.«
    »Wiedersehen, Lammer.«
    Die zwei Stimmen entfernten sich. Garion stand noch lange, nachdem sie fort waren, unbeweglich, betäubt vor Entsetzen und mit Tränen des Mitgefühls in den Augen. Am schlimmsten fand er die sachliche Art, in der die beiden alles hinnahmen. Ein schrecklicher Zorn begann in ihm zu brennen. Plötzlich hatte er das Bedürfnis, jemanden zu schlagen.
    Dann hörte er ein weiteres Geräusch im Nebel. Irgendwo in der Nähe sang jemand im Wald. Die Stimme war ein heller, klarer Tenor, und Garion konnte sie deutlich hören, als sie näherkam. Das Lied handelte von uraltem Unrecht, und der Refrain war ein Kriegsruf. Unsinnigerweise konzentrierte sich Garions Zorn auf den unbekannten Sänger. Sein geistloses Geschrei über abstrakte Ungerechtigkeiten schien irgendwie obszön angesichts der stillen Verzweiflung von Detton und Lammer. Ohne zu überlegen, zog Garion sein Schwert und kauerte sich hinter die eingestürzte Mauer.
    Das Lied erklang noch näher, und Garion konnte die Huftritte eines Pferdes in dem nassen Schnee hören. Vorsichtig streckte er den Kopf über die Mauer und sah, daß der Sänger sich bis auf etwa zwanzig Schritte genähert hatte. Es war ein junger Mann in gelber Hose und leuchtendroter Weste. Sein pelzgefütterter Umhang war zurückgeschlagen. Er trug einen langen, geschwungenen Bogen über der Schulter und ein Schwert

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