Zauber der Vergangenheit
Er umarmte mich zum Abschied. Seine Kleidung roch nach einer Mischung aus Parfum und Seife. Ich sog diesen beruhigenden Duft tief ein. Am liebsten hätte ich ihn gar nicht mehr losgelassen. Die Aussicht hier ganz allein bleiben zu müssen machte mich nervös. Drew löste sich vorsichtig aus meiner Umklammerung, bis er nur noch meine Hand hielt.
»Wir werden auf sie achtgeben«, sagte die Frau zu Drew. Er nickte dankend und bedachte mich mit einem letzten aufmunternden Blick, bevor er sich zum Gehen wandte. Ich wollte ihn nicht loslassen, nicht alleine zurückbleiben. Doch seine Hand entglitt meinem Griff. Ich konnte ihm nur noch hinterherstarren. Eine plötzliche Leere erfasste mich und ich fröstelte unversehens.
»Kommen Sie, Kind, gehen wir hinein. Es ist schon spät und Sie sollten sich etwas ausruhen. Ihnen muss etwas Schlimmes widerfahren sein, so wie das aussieht.« Sie zeigte auf meinen Arm.
»Ja, da haben Sie Recht.« Sie wusste gar nicht, wie sehr, auch wenn sie damit etwas anderes meinte als ich. Ich ließ mich von ihr ins Innere des Hauses schieben. Drinnen war es entgegen meiner Vorstellung sehr gemütlich. Der Raum, in dem wir standen, war zwar nicht sehr groß, verfügte aber dennoch über einen wärmenden Kamin. Die Glut war bereits weit heruntergebrannt. Trotzdem war es mollig warm. An den Wänden standen hohe Regale. Die meisten davon waren leer. Außer uns beiden war keiner hier. Die anderen Bewohner des Hauses mussten bereits schlafen gegangen sein. Ich wusste nicht einmal, wie spät es war, und eine Uhr konnte ich nirgends entdecken.
»Setzen Sie sich doch bitte.« Sie lächelte mich mitfühlend an und zeigte auf einen Sessel, der vor dem Feuer stand.
»Vielen Dank Mrs …«
»Stewart. Ich heiße Rosemary Stewart, aber nennen Sie mich doch bitte einfach Rose. Wir nehmen es hier nicht so genau mit den Förmlichkeiten, wissen Sie. Wir betrachten uns eher als eine große Familie.«
Ich fand es sehr nett von ihr, wie sie mich behandelte, obwohl sie mich ja eigentlich gar nicht kannte. »Mein Name ist Violet Harrison«, verriet ich ihr.
»Gut, Miss Violet, dann ruhen Sie sich jetzt erst einmal aus und ich hole uns eine schöne Tasse Tee.«
Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, folgte ich ihrer Aufforderung und nahm derweilen in dem Sessel vor dem Kamin Platz. Er war mit einem fleckigen, braunen Stoff bezogen. Ich vermutete, dass er zu seinen besten Zeiten wohl einmal cremefarben gewesen war. Die Lehnen wiesen vereinzelte Kratzspuren auf. Vermutlich gab es hier also auch eine Katze. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, strich mir auch schon etwas um die Beine. Ich beugte mich nach vorne, um es besser sehen zu können. In diesem Moment sprang mir eine große, getigerte Katze auf den Schoß. Ich war so überrascht, dass mir ein kurzes, erschrockenes Quieken entfuhr. Die Katze störte sich jedoch kein Stück daran. Im Gegenteil. Sie rollte sich schnurrend auf meinem Kleid zusammen und blickte mich erwartungsvoll an. Na wenigstens einem schien es zu gefallen. Mit ihrer weißen Schwanzspitze kitzelte sie meinen Handrücken. Sie wollte mir offensichtlich zu verstehen geben, dass ich nun an der Reihe war. Ich strich ihr leicht mit den Fingerspitzen durchs Fell. Es fühlte sich weich und warm an und die Katze schien es zu genießen.
»Wie ich sehe, haben Sie schon Bekanntschaft mit unserem lieben Fuzz gemacht«. Mrs Stewart kam lächelnd mit einer Teekanne und zwei Tassen auf mich zu. »Er soll uns eigentlich die Ratten im Keller wegfangen, aber meistens zieht er die Nähe von Menschen vor«, sagte sie und stellte eine der Tassen auf dem kleinen runden Tisch vor mir ab. »Ich hoffe, es ist Ihnen nicht unangenehm. Ich kann ihn sonst auch verscheuchen.«
»Nein, nein, schon gut«, wehrte ich ab. »Ich mag Katzen.« Ich strich ihm weiter versonnen durchs Fell. Ich dachte an Drew und machte mir Sorgen, wo er jetzt wohl gerade war.
Als könnte sie meine Gedanken lesen, sagte sie: »Ich bin mir sicher, Ihr Bruder wird eine Unterkunft finden. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Warum durfte er denn nicht hierbleiben?«, fragte ich, während sie Tee aus einer weißen Porzellankanne in die Tassen goss.
»Es hatte keine persönlichen Gründe. Ich bin nur nicht befugt jeden hereinzulassen. Der Besitzer dieses Hauses hat diesbezüglich strenge Regeln aufgestellt. Ich persönlich halte sie für überzogen, aber ich muss mich leider daran halten. Ich darf eigentlich des Nachts gar keine Fremden
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