Zauber einer Winternacht
Hand und presste sie gegen die Rundung. »Fühlen Sie das? Unglaublich, nicht wahr? Da drin ist jemand.«
Er fühlte, wie das Baby sich bewegte, zunächst vorsichtig, dann mit einer Kraft, die ihn erstaunte. »Das fühlte sich an wie eine linke Gerade. Mir scheint, es will so schnell wie möglich raus.« Er wusste, wie es war, wenn man in einer Welt gefangen war und sich nach der anderen sehnte. »Wie fühlt es sich von der anderen Seite an?«
»Sehr lebendig.« Lachend ließ sie ihre Hand auf seiner. »In Dallas konnte ich während der Untersuchung den Herzschlag des Babys hören. Er war so schnell, so ungeduldig. Es klang so herrlich wie nichts anderes auf der Welt. Und ich glaube …«
Jetzt sah er ihr in die Augen, intensiv, bewusst. Ihre Hände berührten sich noch, ihre Körper waren einander nah. Die Wärme, das Intime des Moments, beides raubte ihr fast den Atem.
Der Wunsch, sie an sich zu ziehen, war so stark, dass es beinahe schmerzte. Jede Nacht, wenn er auf dem Fußboden des Nebenraums um Schlaf kämpfte, träumte er von ihr. Dann lagen sie aneinandergeschmiegt im Bett, und er spürte ihren Atem auf der Wange und ihr Haar zwischen den Fingern. Und wenn er dann aus dem Traum erwachte, erklärte er sich für verrückt. Das tat er auch jetzt und wich zurück.
»Ich möchte noch ein wenig arbeiten, wenn Sie sich wieder fit fühlen.«
»Natürlich.« Sie hätte weinen können. Ganz natürlich, dachte sie, schwangere Frauen weinen leicht.
»Ich habe eine Idee. Einen Augenblick.«
Sie wartete. Kurz darauf kam er aus dem Nebenraum zurück. Mit einem marineblauen Hemd.
»Ziehen Sie das an. Es könnte sein, dass der Kontrast zwischen dem Männerhemd und Ihrem Gesicht das ist, was ich suche.«
»Einverstanden.« Laura ging ins Schlafzimmer und schlüpfte aus dem pinkfarbenen Pullover. Als sie den ersten Ärmel des Hemds überstreifte, stieg ihr sein Duft in die Nase. Unaufdringlich, aber doch auf eine unverschämte Weise sexy, haftete er an der dicken Baumwolle. Sie konnte nicht widerstehen und rieb die Wange über den Stoff. Das Material war weich. Der Duft war es nicht, trotzdem gab er ihr ein Gefühl von Sicherheit. Und zugleich spürte sie in sich eine dumpfe, tief sitzende Erregung.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, ging Gabriel gerade seine Zeichnungen durch, verwarf die eine, sortierte sie aus, zog eine andere hervor, musterte sie kritisch, bis sie schließlich vor seinen Augen Gnade fand. Er sah zu Laura hoch, und sofort wurde ihm klar, dass das, was er sich vorgestellt hatte, von der Realität weit übertroffen wurde.
Sie sah wirklich wie ein Engel aus, mit goldenem Haar, eine Illusion und doch zugleich irdisch.
»Das ist schon eher der Look, den ich will«, sagte er. »Die Farbe steht Ihnen, und der männliche Stil gibt einen schönen Kontrast ab.«
»Das Hemd werden Sie so schnell nicht zurückbekommen. Es ist herrlich bequem.«
»Betrachten Sie es als Leihgabe.«
Nachdem sie sich hingesetzt hatte, ging er zu ihr und brachte sie in genau die Position, die sie vor der Pause schon eingenommen hatte. Nicht zum ersten Mal fragte Gabriel sich, ob sie das Posieren gewohnt war.
»Lassen Sie uns etwas anderes probieren.« Er rückte sie zurecht, änderte ihre Position um wenige Zentimeter, murmelte dabei vor sich hin. Laura hätte fast gelächelt. Jetzt war sie wieder die Obstschale.
»Verdammt, hätten wir doch bloß ein paar Blumen. Eine Rose. Eine einzige Rose.«
»Sie könnten sich eine vorstellen.«
»Vielleicht.« Er neigte ihren Kopf ein wenig nach links, richtete sich auf und betrachtete das Ergebnis seiner Bemühungen aus einiger Entfernung. »So gefällt es mir. Deshalb werde ich gleich auf Leinwand vorzeichnen. Mit den Rohskizzen habe ich schon zu viel Zeit verschwendet.«
»Drei komplette Tage.«
»Ich habe Bilder bereits in der halben Zeit vollendet, wenn es bei mir klickt.«
»Hier sind aber einige erst halb fertig.«
»Stimmungswechsel.« Sein Bleistift glitt bereits zügig über die Leinwand. »Beenden Sie alles, was Sie anfangen?«
Sie dachte darüber nach. »Vermutlich nicht. Aber eigentlich sollte man das immer tun.«
»Warum sollte man etwas, das nicht stimmt, in die Länge ziehen?«
»Manchmal verspricht man es eben«, murmelte sie und dachte an das, was sie bei der Hochzeit gelobt hatte.
Da er sie sorgfältig beobachtete, entging ihm der bedauernde Blick nicht. Wie immer versuchte er sich dagegen abzuschotten, doch ihre Gefühle schlugen in ihm eine Saite an.
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