Zauber einer Winternacht
finde.«
Sie öffnete den Mund, um zu sprechen. Doch dann hob sie nur die Hände und ließ sie wieder sinken.
»Die Tatsache, dass du ein Kind in dir trägst, ist nur ein Grund, warum ich nicht mit dir schlafen kann. Der andere ist vielleicht nicht so offensichtlich, aber ebenso wichtig. Ich brauche deine Geschichte, Laura. Und zwar die ganze.«
»Ich kann nicht.«
»Angst?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen schimmerten verdächtig, aber sie reckte das Kinn. »Scham.«
Mit jeder anderen Antwort hatte er gerechnet, mit der nicht. »Wieso? Weil du nicht mit dem Vater des Babys verheiratet warst?«
»Nein, das ist es nicht. Bitte, hör auf zu fragen.«
Er wollte weiterbohren, zügelte sich jedoch. Sie sah blass und erschöpft aus. Und viel zu zerbrechlich. »Also gut. Lassen wir es vorläufig dabei. Aber denk einmal über das nach, was ich dir jetzt sage. Ich habe Gefühle für dich, und die wachsen schneller, als uns beiden vielleicht lieb ist. Und im Augenblick weiß ich verdammt noch mal nicht, was ich dagegen tun soll.«
Als er aufstand, streckte sie die Hand aus und berührte ihn. »Gabriel, es gibt nichts, was du tun kannst. Du glaubst nicht, wie sehr ich mir wünsche, dass es anders wäre.«
»Das Leben ist das, was man daraus macht, Engel.« Er strich ihr übers Haar und drehte sich abrupt um. »Wir brauchen noch Holz.«
Laura saß in der leeren Hütte und hoffte inständig, inständiger, als sie je etwas erhofft hatte, dass sie aus ihrem Leben endlich das machen würde, was sie sich ersehnte.
4. K APITEL
Während der Nacht war neuer Schnee gefallen. Verglichen mit der Menge, die in den letzten Tagen vom Himmel gefallen war, glich er diesmal einer Schicht Puderzucker. Der Wind hatte ihn stellenweise zu kleinen Hügeln und Rillen zusammengetrieben. Vereinzelt lag er mannshoch. Miniaturgebirge drängten sich an die Fensterscheiben und veränderten bei jedem Windstoß ihre Gestalt.
Schon ließ die Sonne den Neuschnee schmelzen, und Laura konnte, wenn sie die Ohren spitzte, das Wasser wie Regen durch die Rinnen rauschen hören. Es war ein angenehmes Geräusch und ließ sie an heißen Tee am Kamin, ein gutes Buch am Nachmittag oder ein Schläfchen am frühen Abend denken.
Aber jetzt war es Morgen, erst ein oder zwei Stunden nach Tagesanbruch. Wie üblich hatte sie die Hütte für sich.
Gabriel hackte Holz. Von draußen drang das dumpfe Geräusch der Axt in die Küche, wo Laura Milch und eine Tafel Schokolade in der Pfanne erhitzte. Sie wusste, dass die Holzkiste wohlgefüllt und der Stapel an der Hüttenwand noch hoch war. Selbst wenn es bis Juni schneien sollte, an Holz würde es ihnen nicht mangeln. Künstler oder nicht, er war ein athletischer Mann, und sie konnte nachempfinden, dass er sich körperlich verausgaben wollte.
Alles kam ihr so – normal vor. Sie in der Küche, am Herd, er draußen, mit der Axt in der Hand, und am Dachvorsprung über den Fenstern lange glitzernde Eiszapfen. So war es jeden Morgen. Wenn sie aufstand, hatte er die Hütte schon verlassen, um Axt oder Schaufel zu schwingen. Sie kochte frischen Kaffee oder wärmte auf, was er in der Kanne gelassen hatte. Das Kofferradio brachte ihr die letzten Neuigkeiten aus der Außenwelt, aber irgendwie fand sie sie nie sehr wichtig. Nach einer Weile kam er herein, klopfte sich den Schnee vom Parka und den Stiefeln und nahm die Tasse Kaffee entgegen, die sie ihm reichte. Anschließend setzte er sich an seine Staffelei, und Laura setzte sich auf ihren Platz am Fenster.
Manchmal unterhielten sie sich. Manchmal nicht.
Hinter der Routine spürte sie bei ihm eine Art von Eile, deren Motiv sie nicht verstand. Obwohl er stundenlang, mit ruhigen kontrollierten Strichen malte, schien er die Fertigstellung des Bildes kaum abwarten zu können. Und tatsächlich näherte das Porträt sich immer schneller seinem Ende. Sie nahm auf der Leinwand Gestalt an. Genauer gesagt, die Frau, die er in ihr sah. Laura konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum er sie so weltfern, so verträumt wirken ließ. Schließlich lebte sie in dieser Welt, sehr sogar, denn dafür sorgte das Baby, das in ihr wuchs.
Aber sie beschwerte sich nicht. Er reagierte ohnehin nicht auf ihren Protest.
Er hatte andere Skizzen angefertigt. Einige zeigten sie in voller Größe, andere nur ihr Gesicht. Es war sein gutes Recht, sie als Modell zu nutzen, schließlich hatte sie sonst nichts, was sie ihm für das Dach über dem Kopf geben konnte. Einige der Skizzen machten sie
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