Zauber einer Winternacht
ich mir nachts vorzustellen, wie es wohl aussieht, und dann … Oh Gott.«
»Halte durch. Atme tief durch, Engel. Atme ganz ruhig.«
»Ich kann nicht. Ich muss pressen.«
»Noch nicht, noch nicht. Warte noch.« Er beugte sich vor und ließ die Hände über ihren Bauch gleiten. »Hechle, Laura.«
Ihre Konzentration schwand und kehrte wieder. Wenn sie ihm in die Augen starrte, aus ihnen die nötige Kraft sog, dann würde sie es schaffen. »Ich halte es nicht mehr länger aus.«
»Das brauchst du auch nicht. Ich sehe schon den Kopf.« In seiner Stimme lag Faszination, als er wieder zu ihr hochsah. »Ich kann es sehen. Presse mit der nächsten.«
Fast besinnungslos vor Anstrengung gab sie alles an Kraft, was sie noch besaß. Sie hörte das tiefe, lang gezogene Aufstöhnen, ohne zu wissen, dass sie es war. Gabriel rief ihr etwas zu, und automatisch begann sie wieder zu hecheln.
»So ist es gut, wunderbar.« Nur mit Mühe erkannte er seine eigene Stimme, seine eigenen Hände. Beide zitterten. »Ich habe den Kopf. Dein Baby ist wunderschön. Als Nächstes kommen die Schultern.«
Sie stemmte den Oberkörper hoch, wollte es sehen. »Oh Gott.« Tränen vermischten sich mit Schweiß, als sie die Hände vor den Mund schlug. »Es ist so winzig.«
»Und stark wie ein Ochse. Du musst die Schultern herauspressen.« Der Schweiß tropfte ihm von der Stirn, während er den Kopf des Babys von hinten mit den Händen umfasste und sich darüberbeugte. »Komm schon, Laura, ich will den Rest auch noch zu sehen bekommen.«
Ihre Finger krallten sich in die Decke, und ihr Kopf fiel zurück. Dann gebar sie. Über ihrem eigenen keuchenden Atem hörte sie den ersten Schrei.
»Ein Junge.« Gabriel wurden die Augen feucht, als er das zappelnde neue Leben in den Händen hielt. »Du hast einen Sohn.«
Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, und sie begann zu lachen. Der Schmerz und die Angst waren vergessen. »Ein Junge. Ein kleiner Junge.«
»Mit einem lauten Mundwerk, zehn Fingern und zehn Zehen.« Er griff nach ihrer Hand und drückte sie fest. »Er ist perfekt, Engel.«
Ihre Finger verschränkten sich über dem Baby, und die Hütte hallte wider vom schrillen, protestierenden Geschrei des Neugeborenen.
Sie fand keine Ruhe. Laura wusste, dass Gabriel ihr gesagt hatte, sie solle schlafen, aber es gelang ihr nicht, die Augen zu schließen. Das Baby, beinahe eine Stunde alt, war in Decken eingehüllt, und sie hielt es in den Armen. Er schläft, dachte sie, aber sie musste ihm einfach mit der Fingerspitze übers Gesicht fahren.
So winzig. Vier Pfund und 466 Gramm auf der Küchenwaage, die Gabriel im Abstellraum gefunden und abgeschrubbt hatte. Vierundvierzigeinhalb Zentimeter groß, mit einem blassblonden Flaum auf dem Kopf. Sie musste ihn immerzu ansehen.
»Er verschwindet nicht, weißt du, wenn du wegschaust.«
Laura sah zur Tür hinüber und lächelte. Die Erschöpfung hatte sie so blass werden lassen, dass ihre Haut fast durchsichtig wirkte. Ihre Augen glühten triumphierend. »Ich weiß.« Sie streckte ihm eine Hand entgegen. »Ich freue mich, dass du gekommen bist«, sagte sie, als er sich aufs Bett setzte. »Ich weiß, wie kaputt du sein musst, aber bleib doch eine Minute.«
»Du hast die ganze Arbeit gemacht«, murmelte er und rieb dem Baby mit dem Daumen über die Wange.
»Das ist nicht wahr. Und das möchte ich dir sagen. Ohne dich hätten wir es nicht geschafft.«
»Natürlich hättet ihr das. Ich war eigentlich nur so eine Art Cheerleader.«
»Nein.« Ihre Hand schloss sich fester um seine, bis er sie ansah. »Du bist für dieses Leben so verantwortlich wie ich. Nicht nur, weil dein Name auf der Geburtsurkunde stehen wird, weil du uns helfen willst. Es ist mehr als das. Du hast ihn auf die Welt geholt. Nichts, was ich sagen oder tun könnte, wäre Dank genug. Guck nicht so.« Sie lachte leise und ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Ich weiß, du kannst es nicht ausstehen, wenn man dir dankt, aber das tue ich ja auch gar nicht.«
»Nein?«
»Nein.« Sie legte das Baby aus ihren Armen in seine. Es war eine Geste, die weit mehr aussagte als die Worte, die ihr folgten. »Ich will dir sagen, dass du heute mehr als eine Ehefrau bekommen hast.« Das Baby schlief zwischen ihnen friedlich weiter. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er berührte die winzige Hand und sah zu, wie sie sich automatisch zusammenzog. Als Künstler hatte er gedacht, die Schönheit in ihrer ganzen Breite zu kennen. Aber bis heute hatte er
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