Zauber einer Winternacht
auf, als er neben ihr in die Knie ging. »Oh, Gabriel, nicht. Du wirst dich mit Farbe bekleckern, dabei siehst du gerade so gut aus.«
Er hielt den Pinsel schon in der Hand. »Tue ich das?«
»Ja.« Sie wollte ihn ihm abnehmen, aber er ließ nicht los. »Du siehst immer so elegant aus, wenn du zur Galerie fährst.«
Seine Miene wirkte wenig begeistert.
»Doch«, fuhr sie fort und unterdrückte den Wunsch, ihm das Haar aus der Stirn zu streichen. »So ganz anders als in Colorado. Dort warst du ein richtig rauer Freilufttyp. Aber das gefiel mir auch.«
»Ein rauer Freilufttyp?«
»Genau. Cord und Flanell, das zerzauste Haar und das unrasierte Gesicht. Mit einer Axt in der Hand wärst du das ideale Motiv für Geoffrey gewesen …« Plötzlich merkte sie, dass ihre Hand seine auf dem Pinselstiel bedeckte. Schnell zog sie sie fort. »Ich war lange genug in der Modebranche, um zu sehen, dass deine Sachen für die Arbeit viel zu schade sind.«
Auch ihm war der plötzliche Stimmungswechsel nicht entgangen. Er sah ihr in die Augen. Es war, als wären sie wieder in der Hütte.
Sie beugte sich zu ihm hinüber. Der Lappen glitt ihr aus der Hand.
Und dann begann das Baby zu schreien.
Sie zuckten beide zusammen, wie Kinder, die dabei erwischt wurden, wie sie an die Keksdose gingen.
»Er wird hungrig sein … und nass, nehme ich an«, sagte sie beim Aufstehen. Gabriel hielt ihre Hand fest.
»Komm wieder her, wenn du dich um ihn gekümmert hast.«
Verlangen und Nervosität vermischten sich in ihr und verwirrten sie. »Ja. Und mach dir keine Gedanken wegen der Unordnung hier. Ich bringe das nachher in Ordnung.«
Sie blieb über eine Stunde bei Michael und war etwas enttäuscht, dass Gabriel nicht kam, wie er es sonst häufiger tat. Dann nahm er das Baby auf den Arm oder spielte mit ihm, bevor es wieder einschlief. Sie liebte diese Gelegenheiten, die kurzen Zeiten des Familienlebens.
Nachdem sie Michael versorgt hatte, ging sie ins angrenzende Bad und wusch sich die Farbe aus dem Gesicht. Sonderlich verführerisch sah sie in der Männerkleidung und mit dem Pferdeschwanz nicht aus. Trotzdem hatte sie vorhin im Kinderzimmer auf Gabriel gewirkt, daran hatten seine Blicke keine Zweifel gelassen.
War es das, was sie wollte? Auf ihn wirken, ihn verführen?
Und was dann?
Unwillkürlich dachte sie daran, wie es einmal gewesen war. Einseitig, ohne Liebe, die doch eigentlich dazugehörte.
Es war falsch, sich dauernd daran zu erinnern. Sie hatte eine Therapie gemacht, mit Beratern gesprochen. Und mit anderen Frauen, denen das Gleiche passiert war. Aber da sie immer unterwegs gewesen war, um von einem Fototermin zum nächsten zu ziehen, hatte sie die Gruppe immer wieder wechseln müssen. Trotzdem hatten die Gespräche ihr geholfen, denn sie hatten ihr das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein, nicht die Einzige, die so etwas hatte durchleiden müssen.
Sie musste die bösen Erinnerungen überwinden, wieder zu einer ganz normalen Frau mit ganz normalen Wünschen und Sehnsüchten werden.
Sie sah sich in dem luxuriösen Bad um. Es war so groß wie manches der Zimmer, in denen sie gelebt hatte. Weiß und strahlend lud es dazu ein, sich in der gefüllten Wanne zu entspannen und sich dann ein edel duftendes Parfum auf die rosige Haut zu tupfen. Sie hatte noch die Flasche, die Geoffrey ihr in Paris gekauft hatte. Und was dann?
Außer der Umstandskleidung besaß sie kaum etwas. Ihre schönen Sachen hatte sie auf der Flucht quer durch die Staaten nach und nach versetzen müssen. Was machte das schon? Es war lange her, dass sie sich als Frau gefühlt hatte. Irgendwie wusste sie schon gar nicht mehr, was ein Mann an Weiblichkeit von ihr erwarten konnte.
Abrupt wandte sie sich vom Spiegel ab und ging hinaus, um Gabriel zu suchen.
Sie betrat das Kinderzimmer und blieb wie angewurzelt stehen. Wände und Fußbodenleisten waren fertig gestrichen, die Farbdosen wieder verschlossen, die Pinsel gereinigt. Gabriel blickte hoch und faltete den farbbeschmierten Lappen zusammen.
»Du hast zu Ende gestrichen«, stieß sie ungläubig hervor.
»Und zwar ohne allzu viel Schaden anzurichten.«
»Es ist wunderschön. Genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe.« Im Geiste richtete sie das leere Zimmer bereits ein. »Wir brauchen noch Vorhänge, weiße, vielleicht gepunktet, aber das wäre wohl nicht das Richtige für einen Jungen.«
»Das weiß ich nicht, aber es klingt jedenfalls so. Es ist warm, daher habe ich das Fenster offen gelassen.«
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