Zauber-Schloss
griffen sie eben an, so einfach war das wohl. Vielleicht waren sie auch hungrig gewesen, und Dor und die Spinne waren ihnen als eine leichtere Beute erschienen als alles andere. Jedenfalls hatten die Kobolde angefangen, und Dor sagte sich selbst, daß er sich nicht allein schuldig zu fühlen brauchte. Er hatte den Kobolden nur das angetan, was sie ihm zugedacht hatten.
Und doch blieb da ein grimmiger Ekel vor sich selbst übrig, ein Entsetzen über die Entdeckung, daß er des Tötens fähig war. Sein neuer, kräftiger Körper war nur der Ausführungsmechanismus gewesen, doch der Wille dahinter war sein eigener. Die Schuld daran konnte er niemandem sonst zuweisen.
Wenn das zum Erwachsenwerden gehörte, dann gefiel ihm das ganz und gar nicht.
Er widmete sich wieder der Spinne. Gehörte dieses Wesen zum Dschungel? Das war unwahrscheinlich. Die Scheide hatte gesagt, daß die Spinne hier fremd sei, und sie wäre doch bestimmt keinen Kobolden zum Opfer gefallen, wenn sie sich hier ausgekannt hätte. Da wäre sie wohl eher in ihrem sicheren Spinnennetz geblieben, hoch oben in einem Baum. Dor hatte auf dem Wandteppich keinerlei Riesenspinnen gesehen. Ja, dann war sie vielleicht auch fremd hier, genau wie er. Auf jeden Fall war sie ein nützlicher Verbündeter. Wenn er doch nur mit ihr reden könnte!
Na ja, wenn er sich ein entsprechendes Vorgehen ausdachte, dann konnte er schon mit ihr reden. Wenn er irgendeinen Gegenstand ausfindig machte, der Spinnen verstand, nicht nur Kampfgebrüll oder die Sprache von Verhandlungen-aus-einer-Position-der-Stärke-heraus. Irgendein Stein aus einem Gebiet, wo Spinnen umherwanderten, vielleicht, oder –
»Ich hab’s!« rief er.
»Was hast du?« erwiderte das Schwert aufgeschreckt. »Wirst du mich jetzt endlich sauber machen, damit ich nicht anfange zu rosten?«
»Äh… ja, natürlich«, sagte Dor verlegen. Zu seiner Zeit waren Schwerter ausnahmslos mit Rostschutzzaubern versehen, aber jetzt lebte er ja in einer rückständigen Epoche. Er wischte die Klinge mit dem frischesten Gras sauber, das er nur finden konnte. Dann steckte er es wieder in seine Scheide, schritt zu dem nächstgelegenen Baum und musterte sorgfältig seine Rinde.
Die Spinne war damit beschäftigt, sich zu reinigen. Sie leckte sich das Blut von den Beinen, um wieder ein glänzendes Fell zu bekommen. Eines ihrer Augen – sie hatte acht, nicht nur sechs davon – beobachtete Dor. Da ihre Augen in alle Richtungen blickten, brauchte sie sich dafür nicht umzudrehen, aber Dor war sich sicher, daß eines der Augen auf ihn gerichtet war.
»Aha!« rief Dor. Er hatte ein Spinnengewebe entdeckt.
»Sprichst du mit mir?« fragt es.
»In der Tat, das tue ich! Du stammst doch von einer Spinne, nicht wahr? Du kannst doch Spinnensprache verstehen?«
»Das will ich meinen! Ich bin von einer wunderbaren Gestreiften Gartenspinne hergestellt worden, der schönsten Arachnide, die du je gesehen hast, am ganzen Leib schwarz und orange gestreift, mit wunderschönen langen Beinen! Du hättest mal sehen sollen, wie sie einen Mosquito eingefangen hat! Aber sie ist von einem gemeinen alten Mückenjägervogel erwischt worden. Ich weiß auch nicht, warum, Mücken gibt es schließlich genug –«
»Ja, sehr traurig«, meinte Dor. »Und jetzt nehme ich dich mit. Darf ich dich an meiner Schulter befestigen? Ich möchte, daß du etwas Spinnensprache für mich übersetzt.«
»Hm, na ja, eigentlich ist meine Terminplanung –«
Dor richtete einen drohenden Finger auf das Netz. »… ganz flexibel«, fuhr es hastig fort. »Genaugenommen habe ich im Augenblick überhaupt nichts zu tun. Wenn du mich abhebst, dann paß auf, daß du mein Muster nicht zerstörst. Meine Herrin hat sich solche Mühe damit gegeben –«
Dor hob es behutsam auf seine Schulter und befestigte es, ohne das Muster zu zerstören. Nur ein paar kleine Fäden mußten dran glauben. Dann kehrte er zu dem Spinnenungeheuer zurück. »Junge, die ist aber groß!« meinte das Netz. »Ich wußte gar nicht, daß diese Art so groß werden kann.«
»Sag etwas zu mir«, sagte Dor der Spinne. »Ich werde dir so mit Ja oder Nein antworten, daß du es verstehst.«
Die Spinne schnatterte. »Ich wünschte, ich wüßte, was du von mir willst, Fremder«, übersetzte das Netz. Das war ja fast wie mit Grundy dem Golem! Aber Grundy konnte in beide Richtungen übersetzen… Na ja, dann mal los. Er war schließlich ein menschliches Wesen, wenn auch ein junges und unerfahrenes, und es würde ihm
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