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Zauber-Schloss

Titel: Zauber-Schloss Kostenlos Bücher Online Lesen
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schneller und höher, und seine bösen Vorahnungen verstärkten sich in gleichem Maße. Es sah nicht so aus, als würde er überhaupt jemals irgendwo landen, ganz bestimmt aber nicht auf der anderen Seite der Spalte. Es konnte sein, daß er bis zum Meer abgetrieben und dort von Seeungeheuern verschlungen oder auch kläglich ertrinken würde. Oder er könnte immer mehr Auftrieb bekommen und höhersteigen, bis er schließlich verhungert war. Und was noch schlimmer war: Er könnte in Mundania wieder aufsetzen. Warum hatte Hüpfer nicht an so etwas gedacht?
    Die Antwort darauf lautete: Das hatte er ja. Die Spinne hatte ihn vor den Gefahren gewarnt. Und Dor war bereit gewesen, dieses Risiko einzugehen. Jetzt bezahlte er für diese Entscheidung.
    Plötzlich erblickte er einen kleinen Fleck in den Wolken. Ein Insekt – nein, ein Vogel – nein, eine Harpyie – nein, ein Drache – nein, dazu war es zu groß. Ein Rokh – es mußte ein Vogel Rokh sein, das größte aller geflügelten Wesen. Doch als es näher kam, da sah er, daß es für einen Rokh wohl doch zu klein war, obwohl es wirklich ziemlich groß war. Es war ein Vogel mit buntem, aber geschmacklosem Gefieder: Die Flügel wiesen rote, blaue und gelbe Flecken auf, der braune Schwanz war weiß gesprenkelt, und der Leib schimmerte in verschiedenen Grüntönen. Der Kopf war schwarz, eines der Augen war weiß umrandet, und am grauen Schnabel waren zwei purpurne Federn zu sehen. Alles in allem also ein kitschiges Durcheinander. Der Vogel flog auf ihn zu und schielte Dor mit einem Auge an. Das war wieder eine Gefahr, an die er noch gar nicht gedacht hatte: von einem fliegenden Wesen angegriffen zu werden. Er griff nach seinem Schwert, hielt sich aber wieder zurück, weil er daran denken mußte, daß er eventuell sein Halteseil zerschneiden und in den Abgrund stürzen könnte. Er hatte schon Glück gehabt, daß er nicht sein Seil zerteilt hatte, als er vor Gerrymander geflohen war, aber das war auch in einer viel geringeren Höhe gewesen. Aber wenn er sich nicht wehrte, dann würde der Vogel ihn womöglich auffressen. Er sah zwar nicht aus wie ein Raubvogel, dazu stimmte die Form des Schnabels nicht, eher wie ein Aasfresser. Aber wie er ihn so anschielte –
    »Hurrraah!« schrie der Vogel. Er stürzte vor, streckte seine großen, handähnlichen Füße aus und griff Dor aus der Luft. »Hurrraah! Hurrraah!« Dann flog er mit kräftigen Flügelschlägen in Richtung Süden und nahm Dor mit.
    Das war zwar die Richtung, in die er gewollt hatte, aber nicht gerade die wünschenswerte Beförderungsart. Als Beute eines monströsen Schreihalses von einem Vogel! Jetzt war er froh, daß Hüpfer nicht bei ihm war, denn der hätte sich niemals gegen ein solch großes Wesen wehren können und wäre ihm auch zum Opfer gefallen. Ein großer Vogel war schließlich die größte Gefahr für eine große Spinne!
    Jetzt, da sein Schicksal besiegelt schien, merkte Dor, daß er sich viel weniger fürchtete, als er erwartet hatte. Er stand kurz davor, verspeist zu werden, und das, was ihm am meisten durch den Kopf ging, war Erleichterung darüber, daß sein Freund diesem Schicksal entgangen war. War das etwa ein Zeichen dafür, daß er erwachsen wurde? Schade, daß er das nicht bis zu Ende würde erleben können!
    Natürlich würde Hüpfer in der Welt des Wandteppichs hängenbleiben, wenn Dors Zauber ihn nicht befreite, es sei denn, der Zauber brachte automatisch alles wieder zurück, was hier nicht hingehörte. Wie zum Beispiel eine lebende Spinne und die verdauten Überreste eines – aber immerhin, es war ja nicht sein Körper, der dann aufgefressen werden würde. Vielleicht würde es zu einem Kompromiß kommen, so daß sein Geist nur halbtot wäre und er als Zombie zurückkehrte. Dann könnte er durch die trübe Landschaft ziehen und mit Jonathan gespenstische Geschichten austauschen. Yecch!
    »Hurraah!« schrie der Vogel wieder und flog auf einen mundanisch aussehenden Baum mit weit ausholender Krone zu. Kurz darauf setzte er in einem gewaltigen Nest auf und ließ Dor in seine Mitte plumpsen.
    Das Nest war einfach unglaublich. Es war aus allen möglichen und unmöglichen Materialien hergestellt worden: Bindfäden, Blättern, Rinden, Schlangenhäuten, Seetang, menschlichen Kleidern, Federn, Silberdraht – Dors Vater hatte einmal von einer Silbereiche irgendwo im Dschungel gesprochen; der Vogel mußte diesen Baum wohl entdeckt haben –, Drachenschuppen, ein versteinertes Käsebrötchen,

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