Zauberkusse
Männer gehen fremd. Aber sie trennen sich nicht.« Doch irgendetwas in meinem Kopf weigert sich, diese Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen.
»Aber er hat es mir versprochen«, sage ich heftig und springe so schnell vom Sofa auf, dass das Geschirr auf dem kleinen, gläsernen Couchtisch empört klappert. »Er liebt mich. Du kannst ihn doch nicht mit all deinen Mandanten in einen Topf werfen.«
»Das tue ich doch gar nicht«, versucht Loretta mich zu beruhigen. »Ich meine doch nur, dass rein statistisch gesehen …«
»Die blöde Statistik interessiert mich nicht die Bohne«, fauche ich, grabsche nach meiner Handtasche und stürme in Richtung Flur davon. In der Wohnzimmertür drehe ich mich noch mal um: »Vielen Dank für deine Unterstützung«, sage ich bitter, »du bist eine wahre Freundin.« Ihre Antwort geht in dem Knallen der Haustüre unter.
Auf dem Weg von Eppendorf zu mir nach Hause ins Univiertel trete ich mein armes Autochen vor lauter Wut an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Warum muss Loretta immer alles mies machen? Kann ich nicht ein wenig Optimismus von ihr erwarten in einer so schweren Zeit wie dieser? Wer soll mich denn bitte schön sonst aufbauen und bei Laune halten, während ich auf Gregors Anruf warte? Ich mich selbst etwa? Das Blut rauscht in meinen Ohren, aber nicht laut genug, um Lorettas Statement zu übertönen: »Männer gehen fremd. Sie trennen sich nicht.« Schwungvoll biege ich in meine Straße ein und trete, als ich einen Parkplatz direkt vor meiner Haustür entdecke, so abrupt in die Bremsen, dass mein Wagen empört aufjault. Nachdem ich ausgestiegen bin, fliegt mein Blick suchend über die geparkten Autos. »Sei nicht albern«, schelte ich mich selbst, »so schnell wird das mit der Trennung auch nicht funktionieren, dass er am selben Abend mit gepackten Koffern vor deiner Tür steht.« Trotzdem bin ich enttäuscht, als ich keinen schwarzen BMW entdecken kann. Doch, da hinten. Mein Herz setzt für eine Sekunde aus und eine Welle freudiger Erregung überschwemmt mich. Bis mein Blick auf das Berliner Kennzeichen fällt. Fehlalarm. So ein Mist. Warum müssen eigentlich alle Autos gleich aussehen? Zärtlich lasse ich den Blick über meine alte Möhre gleiten, auf deren weiße, zugegebenermaßen schon etwas durchgerostete Lackierung ich schwarze Kuhflecken aus Klebefolie geklebt habe. Keine Frage, in ganz Hamburg sieht kein Gefährt so aus wie meins. Seufzend gehe ich auf meine Haustür zu, doch die Aussicht, meinen einzigen freien Abend alleine in meiner Wohnung zu verbringen und mich zu fragen, was Gregor jetzt gerade macht, erscheint mir plötzlich nicht mehr besonders verlockend. Prüfend schaue ich in den Himmel, über den jetzt langsam die Abenddämmerung hereinbricht. Für Ende September ist es wirklich noch ziemlich warm und nach Regen sieht es auch nicht aus. Ich beschließe, mein Fahrrad aus dem Keller hervorzuholen und ein wenig durch die Gegend zu radeln. Mir den Wind um die Nase und den Kopf freipusten zu lassen. Alle negativen Gedanken abzustreifen. Gregor liebt mich. Und ich habe versprochen, ihm zu vertrauen.
Wie durch ein Wunder finde ich mich etwa vierzig Minuten später in Halstenbek wieder. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie ich hier hergekommen bin, ausgerechnet ich, die ich ohne Stadtplan normalerweise nicht einmal die Hamburger Innenstadt finden würde. Einen kurzen Moment lang denke ich, dass es besser wäre, auf der Stelle umzukehren. Doch die Neugier siegt. Wo ich jetzt schon mal hier bin. Was ist denn schon dabei, wenn ich mir mal ansehe, wie das Ehepaar Landahl so wohnt? Ich tue ja nichts Verbotenes. Ein einsamer Spaziergänger, der mit seinem graumelierten Rauhaardackel den Bürgersteig entlang wandert, gibt mir bereitwillig Auskunft und einige Minuten später biege ich auf meinem Drahtesel in eine possierliche Siedlung ein. Mit einem Schlag fühle ich mich in eine andere Welt versetzt. Und irgendwie auch in eine andere Zeit. Vereinzelt spielen noch Kinder im Halbdunkel der verkehrsberuhigten Straße, die Vorgärten der kleinen, weißen Häuser mit den roten Dächern sind ausnahmslos topp gepflegt, hier und da sogar mit einem zierlichen Gartenzaun versehen. Glücklich lächelnde Frauen mit blütenweißen Schürzen sehen zum Küchenfenster hinaus und halten ein Auge nach draußen, während sie wahrscheinlich Eintopf oder Apfelstrudel zubereiten. Der dunkelblaue Mercedes vor mir hält vor einem buntgestreiftem Garagentor und ihm entsteigt ein
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