Zauberkusse
Menschenkenner er ist, das muss ich mir jetzt nicht unbedingt anhören.
»Nur Sie sollten ihm nicht glauben«, plappert er ungefragt weiter, »dass er sich trennt.«
»Sie haben doch keine Ahnung. Sie kennen uns nicht einmal«, fahre ich ihn an. »Es geht Sie zwar nicht das Geringste an, aber das zwischen uns ist etwas Besonderes. Eine ganz große Liebe. Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt«, schon wieder treten mir die Tränen in die Augen, »und wenn Sie wirklich so eine gute Menschenkenntnis hätten, wie Sie behaupten, dann würden Sie das erkennen.« Wortlos hält er mir ein Taschentuch hin, das ich ergreife und mir ausgiebig die Nase putze. Verdammte Heulerei!
»Was ich erkennen kann, ist, dass Sie ein Mensch sind, der zu großer Leidenschaft und Liebe fähig ist. Und wahrscheinlich liebt er Sie auch.« Ich nicke heftig mit dem Kopf. »Aber er wird sich nicht von seiner Frau trennen. Es tut mir leid für Sie, aber so ist es.« Bedauernd zuckt er mit den Schultern. »Männer sind vor allem eins: Feige. Und Ihr Gregor hat das heute lebhaft unter Beweis gestellt.« In diesem Moment beginnt es in meiner Tasche zu vibrieren. Statt wütend aufzubegehren, fummele ich hektisch mein Handy aus der Tasche. Eine SMS. Von Gregor.
»Bitte verzeih mir. Ich liebe nur Dich. Es wird alles gut werden. Und mach Dir keine Sorgen, ich bezahle den Schaden. Komme morgen zu Dir. Gute Nacht, mein Engel.«
»Lassen Sie mich raten«, unkt Herr Lange nach einem Blick auf mein verklärtes Grinsen, »von ihm.«
»So ist es«, sage ich schnippisch. »Er liebt nur Sie. Er wird sich trennen. Blablabla.« Ich funkele ihn zornig an und er lächelt bedauernd. »Jetzt sehen Sie mich doch nicht so an, als wollten Sie mich fressen. Ich will Ihnen doch nichts Böses. Es ist nur einfach so …« Er macht eine nachdenkliche Pause. »Ich kenne Männer. Ich bin einer. Und ich würde jede Wette mit Ihnen machen, dass dieser Mann sich nicht von seiner Frau trennen wird.« Herausfordernd hält er mir seine Hand vor die Nase, die ich betrachte, als sei sie ein Stück schimmeliger Käse. Auf mein Unglück will er also wetten. Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. Ich verschränke demonstrativ die Arme vor der Brust und sehe aus dem Fenster, bis Herr Lange endlich die Flosse aus meinem Gesicht und wieder ans Steuer nimmt. Ich lese die SMS von Gregor noch einmal. Er liebt mich. Er kommt morgen zu mir. Und auch um das Geld brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Eigentlich ist doch alles gar nicht so schlimm. Wenn dieser blöde Miesmacher da an meiner Seite nicht die ganze Zeit rumstänkern würde, könnte ich diesen Abend einfach als Erfahrung zu den Akten legen. Hasserfüllt betrachte ich ihn von der Seite, als wir gerade in meine Straße einbiegen.
»So, da wären wir«, sagt er und lächelt mich freundlich an. Ich steige wortlos aus dem Auto und sehe ihm dabei zu, wie er mein Fahrrad aus dem Kofferraum wuchtet und vor mich hinstellt. In diesem Moment habe ich einen Einfall.
»Finden Sie Ihren Job eigentlich spannend?«, erkundige ich mich und schenke ihm ein zuckersüßes Lächeln. Erstaunt sieht er mich an und lächelt zurück:
»Nun, diese Nacht war schon besonders aufregend, das muss ich zugeben, aber mir macht die Arbeit eigentlich immer Spaß.«
»Wirklich?«, hake ich neugierig nach. »Auch, wenn Sie beleidigt werden? Sie haben doch erzählt, dass Sie schon alles an Beleidigungen gehört haben, was man sich vorstellen kann. Das kann doch kein gutes Gefühl sein.«
»Na ja, an der Tagesordnung ist so etwas nun auch nicht. Die Leute haben einen gewissen Respekt. Allerdings wahrscheinlich eher vor den Strafen als vor mir«, scherzt er.
»Muss man dafür ins Gefängnis?«, frage ich und schaue mit kugelrunden Kinderaugen zu ihm auf.
»Nein, dafür gibt es nur eine Geldstrafe. Und die richtet sich nach dem Einkommen. Ich würde sagen, für einen Durchschnittsverdiener kostet zum Beispiel ›Arschloch‹ knapp zwei Mille.«
»Tatsächlich?« Er nickt und schmunzelt in sich hinein.
»Letztens hat jemand meine Partnerin als Pappnase beschimpft. Ist mit hundert Euro davongekommen.« Ich schaue ihn durchdringend an und nicke nachdenklich. Dann strecke ich ihm meine Hand hin.
»Danke fürs Nachhausebringen«, sage ich artig und er lächelt.
»War mir ein Vergnügen.«
»Wissen Sie«, sage ich, »Gregor hat in seiner SMS vorhin versprochen, für den Schaden aufzukommen. Sie wissen schon, das Bild und so. Streng genommen habe ich heute Abend
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