Zauberkusse
Kramer.« Ich stehe in seinem eisernen Griff und muss zusehen, wie Nora auch den zweiten und dritten Zauberknoten löst und dann den Beutelinhalt auf die Motorhaube ausschüttet.
»Sie machen alles kaputt«, wimmere ich leise, »so kann er nicht wirken.« Nora und Michael betrachten ratlos die Mischung aus getrockneten Rosenblättern, Katzenminze, Zimt (für die Liebe), Fenchelsamen (für die Heilung erlittener Verletzungen), Pfeffer (für die Bannung weiteren Unglücks) und Reis (für gemeinsames Glück im Leben). Obenauf liegt das klein zusammengefaltete Wunschpapier.
»Was ist das?«, fragt Nora irritiert und sieht nicht mehr ganz so siegessicher aus.
»Das«, sage ich nüchtern, »ist jetzt, nachdem Sie den Beutel geöffnet und den Zauber zerstört haben, nichts mehr als ein Haufen zusammengemischter Gewürze.« Fragend sehen die beiden mich an. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Drogen bei mir habe«, rege ich mich auf. »Aber Sie wollten mir ja nicht glauben. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, nicht wahr? Dieser Zauber war wichtig. Er sollte meine Beziehung retten. Jetzt haben Sie alles kaputtgemacht.« Tränen laufen mir die Wangen herunter, sodass Michael seinen Griff etwas lockert und mir stattdessen sogar mit der Hand ein wenig über die Schulter streichelt. Damit kann er mich aber jetzt auch nicht mehr trösten. Nora greift neugierig nach dem zusammengefalteten Zettelchen. »Wagen Sie das nicht«, sage ich so scharf, dass sie zurückzuckt. Dann greife ich schluchzend nach dem Stoffbeutelchen und beginne, Zettel und Zutaten wieder hineinzufüllen, während ich von zwei Polizeibeamten, denen es ganz offensichtlich die Sprache verschlagen hat, dabei beobachtet werde. Es ist noch nicht alles kaputt, tu einfach so, als wäre nichts passiert, versuche ich mir einzureden. Denk an Gregor. Glaub an eure Liebe.
Sorgsam verschließe ich das Beutelchen wieder mit drei Knoten und konzentriere mich dabei fest auf meinen Wunsch. Aber natürlich, hier so mitten auf der Straße, am helllichten Tag, unter Beobachtung und ohne Räucherwerk und Kerzenschein, wirkt das Ganze nicht unbedingt magisch. Eher lächerlich. Vielleicht sogar verrückt. Ich weiß es nicht. Ist mir auch egal. Ich verstaue den Beutel wieder in meiner Jeanstasche, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und sehe Michael gerade in die Augen, während Nora betreten den Rückzug in Richtung Dienstwagen antritt.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich.« Er hält mir doch tatsächlich die Tür von meinem Wagen auf. Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu, während ich einsteige. Er beugt sich zu mir herunter, während ich den Sicherheitsgurt anlege.
»Frau Kramer?«
»Ja?«
»Es tut mir leid. Wirklich.« Ich nicke stumm. Ein »Schon gut« kommt mir nicht über die Lippen. Denn es ist nicht gut. »Sie … Sie brauchen doch gar keinen Liebeszauber«, raunt er mir dann verlegen zu. Sprachlos sehe ich ihn an. Er holt ein kleines Kärtchen aus seiner Brusttasche hervor. »Dies ist meine Visitenkarte. Falls Sie sich über mich beschweren wollen.« Ich reiße ihm die Karte förmlich aus der Hand.
»Könnte gut sein«, sage ich schnippisch.
»Oder falls ich es wiedergutmachen darf. Mit einem Essen vielleicht.«
»Ist ja ein Ding«, lacht Loretta, als ich ihr die Geschichte erzähle. »Stell dir mal vor, aus euch beiden wird etwas!«
»Natürlich werde ich nicht mit ihm ausgehen«, sage ich bestimmt.
»Aber warum denn nicht. Ich denke, er war süß.«
»Also, erstens war er allerhöchstens passabel. Zweitens liebe ich Gregor«, an dieser Stelle seufzt Loretta schwer, »und drittens hat er meinen Liebeszauber zerstört. Wenn das kein schlechtes Omen ist.«
»Findest du nicht, dass du da jetzt ein bisschen sehr abergläubisch bist?«
»Ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll«, jammere ich. »Ob ich den Zauber wiederholen kann? Meinst du, ich sollte Thekla mal kontaktieren?«
»Wozu? Um ihr noch mehr von deinem schwerverdienten Geld in den Rachen zu werfen?«
»Oh Gott, wahrscheinlich war er gerade im Begriff, sich zu trennen«, sinniere ich weiter, »und dann kommt diese Bullenkuh mit ihren Wurstfingern und zerstört alles.«
»Bullenkuh. Das ist gut«, grinst Loretta.
»Du glaubst nicht daran, dass Gregor sich trennt, oder?«, frage ich kläglich und Loretta schüttelt traurig den Kopf:
»Nein, Süße. Ehrlich gesagt nicht.« Erschöpft lasse ich den Kopf auf die Tischplatte sinken.
An diesem Tag höre ich nichts
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