Zauberkusse
Augen.
»Na ja, vielleicht nicht«, lenkt meine Freundin ein, »aber wie ich Männer kenne, ist er ganz schön froh darüber, dass ihm das Schicksal so einen schönen Strich durch die Rechnung gemacht hat.«
»Weißt du, es ist nicht sehr aufbauend, mit dir zu telefonieren«, mosere ich und gebe ein weiteres Stück Kandiszucker in meinen Tee.
»Tut mir leid, Süße, ich sage doch nur, wie es ist.«
»Und du hältst mich für bescheuert, dass ich ihn entschuldige?« Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Danke, das sagt mehr als tausend Worte. Er hatte doch keine Wahl«, rege ich mich auf, »man kann doch keine hilflos im Bett liegende Frau verlassen. Ganz ehrlich, würde ich einen solchen Mann überhaupt wollen?« fällt mir da ein. »Jemanden, der die schwache Position des anderen ausnutzt, um sich ohne lange Diskussionen aus dem Staub zu machen?« Da Loretta immer noch nicht ihre Sprache wieder gefunden zu haben scheint, antworte ich mir selber auf diese Frage: »Nein. So jemanden will ich nicht.«
»Du hast ja recht«, kommt es jetzt sanfter von Loretta zurück und ich atme erleichtert aus.
»Danke.«
»Hoffen wir nur, dass Anna jetzt nicht ein Unglücksfall nach dem nächsten trifft. Du hast nicht zufällig doch irgendwelche bösen Gedanken in ihre Richtung geschickt«, kichert sie, »du weißt schon, bei dieser Tussi vom Dom.«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, antworte ich erschrocken. »War nicht ganz ernst gemeint. Ich muss Schluss machen, es gibt mal wieder ein paar Eheleute zu scheiden. Übrigens, wenn Gregor eine Anwältin braucht …«
»Ich empfehle dich weiter.«
»Danke.« Nachdenklich lege ich den Hörer auf und nippe an meinem Tee. Habe ich vielleicht doch negative Gedanken in Annas Richtung geschickt? Während des Rituals ganz sicher nicht, aber als sie mich da am Telefon so dumm von der Seite angemacht hat, da war ich schon ein klitzekleines bisschen sauer auf sie. Aber kann ich dadurch einen Unfall ausgelöst haben? So ein Quatsch! Ist doch alles Blödsinn. Wenn Loretta nicht zum Gericht müsste, würde ich sie noch mal schnell anrufen, um mir von ihr sagen zu lassen, dass dieser ganze Hokuspokus nichts weiter als Quacksalberei ist. So muss ich mich selbst davon überzeugen. Ich krame das Zauberbeutelchen hervor, lege es vor mich auf den Küchentisch und starre darauf. Dabei komme ich mir selber unglaublich lächerlich vor. Ein wachsverschmiertes Baumwollsäckchen mit irgendwelchen Küchenabfällen darin. Ich scheine wirklich allmählich den Verstand zu verlieren. Gerade will ich das Ding in meiner roten Mülltonne versenken, als mir ein anderer Gedanke kommt: Jetzt nur mal angenommen, diese ganze Zauberei funktioniert tatsächlich. Und am gleichen Tag, an dem die Zauberknoten von der Bullenkuh gelöst werden, hat Anna einen Autounfall. Der zu einem Halswirbelsyndrom führt. Der sie ans Bett fesselt. Und Gregor an sie. Vor lauter Schreck halte ich den Atem an und betrachte das magische Beutelchen in meiner Hand entsetzt.
6.
Liebeszauber mit Nebenwirkung
»Um wieviel Uhr hatte Anna gestern den Autounfall«, frage ich Gregor per SMS.
»So gegen halb eins. Wieso? Ich vermisse dich.« Wenige Minuten später springe ich in mein Auto und mache mich auf den Weg zum Hamburger Dom. Über meine Entscheidung, Madame Thekla erneut aufzusuchen, schließe ich mich lieber nicht mit Loretta kurz. Wäre gut möglich, dass sie mich dann für vollkommen verrückt hält. Womit sie ja irgendwie auch recht hätte. Es ist vollkommen verrückt. Dennoch: die Polizeikontrolle, Annas Unfall, der fast auf die Minute genau zeitgleich passiert ist. Sicher, das könnte ein Zufall sein. Aber ein merkwürdiger Zufall.
Als ich das Heiligengeistfeld betrete, kann von regem Kirmesbetrieb keine Rede sein. Die Hälfte der Karussells und Buden ist bereits abgebaut, außer einigen in Grüppchen herumstehenden Schaustellern ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Eine böse Vorahnung beschleicht mich, während ich meine Schritte beschleunige und über den knirschenden Kiesweg in Richtung Nordausgang trabe. Bitte sei noch da, bitte sei noch da, bete ich stumm und tatsächlich taucht vor mir das alte Wohnmobil mit der Aufschrift »Madame Theklas Zauberstube« auf. Erleichtert laufe ich darauf zu und klopfe an.
»Hallo«, rufe ich zaghaft, als sich im Inneren des Wagens nichts regt und wummere erneut mit der Faust gegen die Tür. »Madame Thekla, sind Sie da? Machen Sie bitte auf.«
»Ist nicht da«, ertönt eine männliche
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