Zauberkusse
kleinen Zeh und ich jaule erneut auf. Vor Schmerz im doppelten Sinne.
»Was hast du denn?«, erkundigt sich Loretta.
»Das ist sein Duschgel«, erkläre ich leidend und halte es ihr durch den Duschvorhang hin.
»Egoiste, wie passend«, findet sie und entreißt es mir. »Jedenfalls gibt es eine Menge Penisse, die nur dir zu Diensten sein wollen.« Vor meinem inneren Auge sehe ich Dutzende von Penissen im Spalier stehen. Mir wird ein bisschen schlecht, denn:
»Verdammt, es geht doch nicht um den Penis. Sondern um den Rest.«
»Um den Typen, der dranhängt?«
»Natürlich.«
»Um diesen verlogenen, untreuen Vollidioten?« Es hat keinen Zweck. Durch den Duschvorhang lugt meine Freundin mit ernstem Gesicht zu mir hinein: »Im Ernst, Luzie, verschwende nicht deine kostbare Lebenszeit darauf, einem Schwein hinterherzuheulen. Überleg doch mal bitte: Dir stehen dreieinhalb Milliarden Männer zur Verfügung. Aber nur ein Leben!«
»Können wir das Thema wechseln?«, bitte ich entnervt, stelle das Wasser ab und steige aus der Dusche. Loretta betrachtet mich mit sorgenvoller Miene, bevor sie mir mein großes, rotes Badelaken reicht.
»Ja. Lass uns darüber sprechen, wie wir dir schleunigst wieder einen Hintern und ein Paar Brüste besorgen können.«
Ein bisschen besser fühle ich mich schon, nachdem Schweiß und Tränen einer ganzen Woche abgewaschen sind. Mit frisch gewaschenen Haaren, geputzten Zähnen und dick eingemummelt sitze ich auf meiner Couch, während Loretta mit ein paar Handgriffen das Chaos in meiner Wohnung zumindest etwas reduziert. Dabei redet sie ununterbrochen auf mich ein, wie wichtig eine gesunde Ernährung für meinen Körper ist und dass ich mir durch diese Hungerkur irreparable Schäden zuführen kann und dass sie mich sehr, sehr unvernünftig findet. Irgendwann platzt mir der Kragen und ich blaffe sie an:
»Es ist nicht so, dass ich das freiwillig oder bewusst tue. Ich bin einfach so traurig. Ich kann nichts essen. Ich kriege keinen Bissen runter.«
»Aber du musst. Komm, wir gehen raus und essen irgendwo eine Kleinigkeit.« Aber ich will nicht raus. In meinem Kühlschrank herrscht totale Ebbe. Gerade will Loretta sich auf den Weg zum Supermarkt machen, als es an meiner Tür klingelt.
»Das ist bestimmt wieder die Saalberg«, stöhne ich und lasse mich noch tiefer in mein Sofa sinken, »womit habe ich das verdient? Kannst du sie bitte abwimmeln?« Bereitwillig geht Loretta zur Tür, aber es ist nicht Frau Saalbergs Stimme, die ich höre, sondern die eines Mannes. Wenige Augenblicke später schleppt Loretta zwei prallgefüllte Einkaufstaschen ins Wohnzimmer.
»Wo hast du die denn jetzt plötzlich her«, frage ich erstaunt, während meine Freundin beginnt, die Tüten auszuleeren.
»Ein Lieferant hat sie gebracht, hier, das soll ich dir geben.« Damit reicht sie mir einen zusammengefalteten Zettel.
»Liebe Luzie, ich mache mir Sorgen um dich. Du glaubst, dass du keinen Bissen runterkriegen kannst, aber versuch es doch mal mit Flüssignahrung. Essen hält Körper und Seele zusammen, glaub mir, du wirst dich besser fühlen. Michael«, lese ich verwundert vor.
»Wow, guck mal«, freut sich Loretta, »Orangen und Pampelmusen, Dosensuppen, Trinkjoghurt, Kakao.« Ungläubig starre ich auf meinen mit Lebensmitteln übersäten Wohnzimmerboden. »Hier, trink das«, damit hält mir Loretta einen Becher Fruchtbuttermilch hin und verschwindet mit den restlichen Sachen in die Küche. »Ich press dir einen frischen Saft«, ruft sie mir zu, während ich den ersten Schluck Buttermilch nehme und gedankenverloren vor mich hin sehe. Mein Blick fällt wieder auf den Zettel in meiner Rechten. Ich folge Loretta in die Küche, die gerade damit beschäftigt ist, Orangen mit meinem großen Küchenmesser zu halbieren.
»Wieso macht der das?«, frage ich sie ratlos und sie grinst mich an:
»Anscheinend mag er dich.« Er mag mich? Wirklich? Ich frage mich, wieso. Mir fällt auf, dass ich mich Michael bislang weiß Gott nicht von meiner besten Seite gezeigt habe. Eher im Gegenteil. In seinen Augen muss ich eine völlig überdrehte, liebeskranke Person sein, deren unbezähmbare Gefühlsausbrüche sie ständig in Teufels Küche bringen. Und die sich schließlich ungewaschen, verwahrlost und abgemagert in ihre Höhle verkriecht. Wahrscheinlich hat er einfach nur eine soziale Ader, beschließe ich.
Am nächsten Morgen reißt mich das Klingeln meines Handys aus dem Schlaf.
»Hallo?«, nuschele ich in den
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