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Zauberkusse

Zauberkusse

Titel: Zauberkusse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
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Erste zu sehen. Und ich habe gesagt, dass wir es in zwanzig Minuten schaffen.«

9.
    Mit ein bisschen Phantasie

    Tatsächlich halten wir neunzehn Minuten später mit quietschenden Reifen vor einem mit braunem Packpapier verklebten Schaufenster. Loretta schubst mich aus dem fast noch fahrenden Auto, ruft:
    »Los, geh rein, ich suche einen Parkplatz«, und braust davon. Die Trinkjoghurtflasche der Sorte Pfirsich-Maracuja fest umklammert, steuere ich auf meine Immobilienmaklerin zu, die bereits wartend vor dem etwas in die Wand eingerückten Eingang steht. Wie immer trägt sie ein knallfarbiges Kostüm, diesmal in zitronengelb, und dazu passende Pumps mit schwindelerregendem Absatz.
    »Guten Morgen, Frau Brunke«, sage ich artig und schüttele ihre Hand.
    »Wie sehen Sie denn aus«, ruft sie statt einer Begrüßung, was mir angesichts ihrer zitronengelb lackierten Fingernägel dann doch etwas komisch vorkommt. »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie so krank sind …« Sie lässt den Satz unvollendet und mustert mich mit sorgenvoller Miene. Na schön, sicher sah ich schon besser aus. Selbst meine kleinste Jeans, in die ich mich früher nur im Liegen hineinzwängen konnte, schlackert mitleiderregend um meine staksigen Beine herum und fünf Minuten reichen einfach nicht aus, um den Kummer unzähliger durchweinter Nächte in einem Gesicht zu überschminken. »Ist es ansteckend?«, fragt Frau Brunke und lässt meine Hand so schnell los, als handele es sich um eine heiße Kartoffel. Ach so! Hat sich was mit Mitgefühl! Dieser hypochondrische Kanarienvogel hat bloß Angst um sein eigenes Gefieder. Dennoch schüttele ich den Kopf und sage:
    »Nein, Frau Brunke, keine Sorge.«
    »Was ist es denn?«, erkundigt sie sich neugierig. Wo ist eigentlich Loretta, wenn man sie braucht? Suchend schaue ich mich um und entdecke sie am hinteren Ende der Straße im Galopp auf uns zusteuern. »Na?«, lässt Frau Brunke nicht locker und beugt sich vertraulich zu mir herüber.
    »Liebeskummer«, sage ich kurz und sie nickt betroffen.
    »Sie Ärmste!«
    »Ja, danke. Können wir hineingehen?«
    »Natürlich.« Sie kramt in ihrer lächerlichen, zitronengelben Handtasche nach dem Schlüssel, öffnet die Tür und lässt mich eintreten. Stickige Luft schlägt mir entgegen und noch bevor sich meine Augen an das dämmerige Licht im Inneren gewöhnen können, bekomme ich einen Hustenanfall. Keuchend und mit tränenden Augen ringe ich um Atem, während Frau Brunke mir hilfreich auf dem Rücken herumklopft und den grell geschminkten Mund zu einem entschuldigenden Lächeln verzieht.
    »Ja, ein wenig staubig ist es hier, nun ja, geht’s wieder?« Ich nicke tapfer und sehe mich um, während Evelyn Brunke über die dunklen Holzdielen zum gegenüberliegenden Fenster stöckelt und es weit aufreißt. Morgendliches Sonnenlicht flutet in den Raum und gibt den Blick frei auf – ein Chaos! In diesem Moment kommt auch Loretta endlich hereingekeucht. Sie bleibt wie angewurzelt im Türrahmen stehen und lässt ihren Blick über etwas schweifen, das wie die Entsorgungshalde eines Möbellieferanten aus den Fünfzigern aussieht. In der rechten Hälfte des Raumes stapeln sich, in jedem nur erdenklich hässlichen Muster, altmodische Sessel und Polstermöbel. Von lila-gelb-gestreift über leberwurstgrau bis hin zu bunten Blümchen auf grünem Grund ist wirklich alles an Geschmacklosigkeit vertreten. Zwischen den wild neben- und übereinander getürmten Sitzgelegenheiten entdecke ich riesige Spinnennetze, eine dicke Staubschicht bedeckt den dunkelbraunen Holzfußboden. Links von mir steht eine Bar aus rustikalem Eichenholz mit selten hässlichen, dunkelgrün bezogenen Barhockern davor. Und die Tapete – ein Traum in orange und braun. Ich trete in die Mitte des Raumes und drehe mich langsam um die eigene Achse.
    »Nun ja, ich sagte ja, arg renovierungsbedürftig. Aber mit ein bisschen Phantasie …«, stammelt meine Immobilienmaklerin hilflos und ich nicke nachdenklich mit dem Kopf. »Aber wie ich schon sagte, die Lage und überhaupt. Nach hinten raus gibt es eine kleine Terrasse für den Sommer, ganz reizend im Innenhof gelegen unter Linden …« Unsicher sieht sie zu Loretta hinüber, die noch immer kein Wort gesagt hat, sondern jetzt langsam näher kommt, mit einem angespannten Ausdruck im Gesicht. Ich kann förmlich spüren, wie Evelyn Brunke kleiner und kleiner wird. Wahrscheinlich würde sie sich am liebsten auf das breite Fensterbrett schwingen und auf und davon

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