Zauberkusse
entschlossen in meine Hose von gestern Abend, die zerknüllt über dem Stuhl hängt. Die Bluse sieht auch nicht viel besser aus. Aber was soll ich machen? Etwa den Schrank auf? Na eben! Verwirrt mustert Loretta meine zerknautschte Erscheinung, als ich ihre Hand ergreife und sie aus dem Zimmer zerre.
»Du bist sicher, dass du so rausgehen willst?«, vergewissert sie sich. Ein Blick in den Garderobenspiegel verdeutlicht mir, was sie meint. Hektisch reibe ich mir mit dem angefeuchteten Zeigefinger die dunklen Schatten unter den Augen weg und zucke betont gleichgültig die Schultern, während ich mir meine braune Winterjacke überwerfe:
»Ist doch egal. Wir sind doch gleich wieder hier. Und du hast doch gesagt, dass Thekla ganz außer sich war. Wir sollten sie nicht länger warten lassen als unbedingt nötig.«
»Was kann denn bloß passiert sein?«, überlege ich laut, während ich die Sonnenblende herunterklappe und mich kritisch im Spiegel beäuge.
»Was auch immer, auf jeden Fall scheint meine Prophezeiung in Erfüllung zu gehen«, meint Loretta zufrieden. »Im Handschuhfach müsste eine Bürste sein.«
»Danke. Meinst du, jemand hat sie angezeigt? Vielleicht die Frau, die ihr Baby verloren hat? Oder die mit den gebrochenen Füßen?« Erstaunt sieht Loretta mich von der Seite an, was mich dazu nötigt, sie genauer über die merkwürdigen Unfälle aufzuklären, die sich nach Theklas Zaubereien ereignet haben. Ob der grausigen Details guckt zwar auch meine hartgesottene Freundin nun deutlich blasser aus der Wäsche, aber dennoch bleibt sie bei ihrem Standpunkt:
»Völliger Schwachsinn!« Dann beginnt sie, in sich hineinzukichern.
»Was ist so komisch?«, erkundige ich mich, während ich versuche, meinen wirren Haarschopf unter Kontrolle zu bringen.
»Nichts weiter. Ich habe mir nur gerade vorgestellt, was Richter Gröhn für ein Gesicht machen würde, wenn ihm jemand eine solche Anklageschrift vorlegen würde. Die Hexe Thekla wird beschuldigt, durch ihre Zauberei die Fußbrüche von Frau Sowieso verursacht zu haben.«
»Er glaubt wohl nicht an Magie und sowas?« Loretta wirft mir einen Seitenblick zu und schüttelt den Kopf.
»Süße, niemand glaubt an so etwas.«
»Und warum sind wir dann hier«, frage ich aufsässig, als Loretta das Auto schwungvoll auf den Parkplatz vor dem Polizeipräsidium steuert und mit quietschenden Reifen zum Stehen bringt. Drei Uniformierte, die am Fuß der Treppe zum Haupteingang stehen, drehen sich erschrocken um und werfen uns einen missbilligenden Blick zu. Entschuldigend hebt Loretta die Hand und stellt ihr hinreißendstes Lächeln zur Schau.
»Das werden wir jetzt herausfinden«, beantwortet sie meine Frage von vorher.
»Einen wunderschönen guten Morgen«, wünscht Loretta der Beamtin am Empfang, die lustlos in ihrer Kaffeetasse rührt und so etwas Ähnliches wie einen Gruß in ihren Damenbart murmelt. »Mein Name ist Loretta Schwarz und ich wurde vor einer halben Stunde von meiner Klientin angerufen.«
»Name?«, erklingt es gelangweilt von der Polizistin, auf deren Namensschild Silke Groß steht.
»Äh, Thekla«, antwortet Loretta und wirft mir einen unsicheren Blick zu, den ich hilflos erwidere. Keine Ahnung, wie Thekla mit Nachnamen heißt. Es sei denn, Madame wäre ihr Vorname. Zum ersten Mal hebt Frau Groß den Blick und ein spöttisches Lächeln entblößt ihre gelblich verfärbten Vorderzähne.
»Thekla und weiter?«, erkundigt sie sich. Als wir ihr keine zufriedenstellende Antwort geben können, verbreitert sich ihr Grinsen noch um eine Spur. »Sie kennen zwar den Nachnamen dieser Dame nicht, aber geben sich als ihre Anwältin aus?«, vergewissert sie sich, woraufhin Loretta kläglich mit dem Kopf nickt.
»Wissen Sie etwa den Nachnamen von Madonna? Oder von Cher?«, frage ich aufsässig. Noch bevor Silke Groß ihrer Empörung über meine Frechheit Ausdruck verleihen kann, öffnet sich am hinteren Ende des langen Ganges eine der graulackierten Türen und eine uns wohlvertraute Stimme schallt zu uns herüber:
»Da seid ihr ja endlich«, ruft Thekla erfreut und winkt mit beiden Armen zu uns herüber. »Huhu, hier bin ich.« Und schon ist Loretta wieder oben auf.
»Sie entschuldigen uns«, verabschiedet sie sich knapp und geht mit entschlossenen Schritten den Gang hinunter auf Thekla zu, die ihr, einen Polizisten an der Seite, mit trippelnden Schritten entgegeneilt.
»Was für eine Aufregung, was für ein Morgen. Du kannst dir ja nicht vorstellen, was
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