Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
wirkte. »Was geht hier vor?«, verlangte er zu wissen. Er hielt seine Stimme so tief wie möglich, als wollte er ein Geheimnis mitteilen, aber in seiner Wut klang sie dennoch wie ein Bellen. Instinktiv richtete sich Brashen vor dem Mann auf, unter dem er gedient hatte. Althea zuckte zuerst vor Schreck zurück, erholte sich aber rasch.
»Das geht dich verdammt noch mal nichts an!«, erklärte sie und wollte an ihm vorbei ins Haus gehen. Er packte sie am Oberarm und wirbelte sie herum. »Verdammt!«, schrie sie und gab sich keine Mühe, leise zu sein. »Nimm deine Pfoten von mir!«
Kyle ignorierte sie und schüttelte sie stattdessen, dass ihr kleiner Körper zuckte wie das Ende einer Peitsche. »Diese Familie geht mich etwas an!«, knurrte er. »Der Ruf der Familie ist meine Sache, genauso wie sie die deine sein sollte. Sieh dich an! Du bist barfuss, siehst aus und stinkst wie eine betrunkene Schlampe, und hier haben wir einen Schurken, der dir hinterherhechelt wie hinter einer billigen Hure. Hast du ihn deshalb mit hierhergebracht, in das Haus deiner Familie? Wie konntest du das tun? In der Nacht des Todes deines Vaters, wie konntest du uns so beschämen?«
Althea hatte ihre Zähne bei seinen wilden Anschuldigungen gebleckt. Sie schlug nach seiner Hand, die ihren Arm festhielt.
»Ich habe gar nichts getan!«, schrie sie wütend, und ihre Stimme klang deutlich trunken. »Ich habe nichts getan, wessen ich mich schämen müsste. Du bist derjenige, der sich schämen sollte! Du Dieb! Du hast mir mein Schiff gestohlen! Du hast mein Schiff gestohlen!«
Brashen stand vor Entsetzen wie gelähmt da. Das war das Letzte, in was er verwickelt werden wollte. Ganz gleich, was er tat, irgendjemand würde etwas daran auszusetzen haben. Aber noch schlimmer war es, ruhig danebenzustehen und gar nichts zu tun. »Käpt’n Kyle. Lasst sie los, sie hat nichts weiter getan, als sich ein bisschen zu betrinken. Nach allem, was sie heute erlebt hat, ist das wohl zu erwarten gewesen. Lasst sie los, Mann, Ihr tut ihr weh!«
Er hatte weder die Hand gehoben, noch mit einem Zeichen zu verstehen gegeben, dass er Kyle angreifen wollte, aber der Kapitän ließ Althea unvermittelt los und ging auf den Seemann zu. »Mag sein, dass du das erwartest, aber es ist nicht das, was ich erwarte.«
Brashen sah, wie hinter Kyle in dem dunklen Flur ein Licht entzündet wurde, und hörte, wie eine Frau ihre Stimme fragend hob. Kyle wollte Brashens Hemd packen, aber Brashen trat einfach einen Schritt zurück. Hinter ihm hatte sich Althea wieder aufgerappelt. Sie weinte, hemmungslos wie ein Kind, und klammerte sich an den Türpfosten. Ihr Haar verbarg ihr Gesicht. Kyle tobte weiter. »Ja, du erwartest, dass sie sich betrinkt, nicht war, du räudiger Hund? Und bist ihr gefolgt, um noch mehr zu bekommen, was? Ich habe gesehen, wie du sie auf dem Schiff angesehen hast, und weiß genau, was du im Sinn hast. Konntest wohl nicht warten, bis der Leichnam ihres Vaters zur Ruhe gebettet wurde, bevor du hinter ihr herläufst, nein?«
Kyle kam auf ihn zu und Brashen wich zurück. Rein körperlich hatte er keine Angst vor Kyle, auch wenn dieser größer war als er. Aber Kyle konnte mehr als sein Gewicht und seine Fäuste in die Waagschale werfen. Er konnte sich auf alle Vorteile der alten Händlersippen berufen. Wenn er Brashen hier an Ort und Stelle tötete, würden nur wenige seine Schilderung der Ereignisse in Frage stellen. Also sagte er sich, dass es nicht Feigheit war, sondern Klugheit, die ihn zurückweichen ließ. Dabei hob er beschwichtigend die Hände.
»So war es nicht. Ich habe sie einfach nur nach Hause gebracht. Das ist alles.«
Kyle holte aus, aber Brashen wich dem Schlag mit Leichtigkeit aus. Dieser Versuch eines Schlages war alles, was er brauchte, um den Mann einzuschätzen. Kapitän Haven war langsam.
Und er verlor schnell das Gleichgewicht. Auch wenn er größer war und vielleicht sogar stärker sein mochte, wusste Brashen, dass er mit ihm fertig werden konnte, und zwar ohne allzu große Anstrengung.
Während er sich noch fragte, ob er den Mann würde verprügeln müssen, ertönte eine Frauenstimme an der Tür.
»Kyle! Brashen!«
Trotz des Alters und der Trauer in ihrer Stimme – oder vielleicht gerade deshalb – klang Ronica Vestrit wie eine Mutter, die ihre beiden ungebärdigen Kinder zur Ordnung ruft. »Hört auf! Hört sofort damit auf!«
Die alte Frau hatte ihr Haar für die Nacht zu einem Zopf geflochten und hielt sich am Türrahmen
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