Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
dem Wesen passen, das ich jetzt bin. Ich kenne dich, Althea. Ich weiß, dass du mich nicht freiwillig verlassen hast. Aber du kennst mich auch. Und du musst verstehen, wie tief es mich verletzt, dass man Wintrow zwingt, an Bord zu kommen, ihn zwingt, mein Gefährte und Freund zu sein, wenn er sich doch eigentlich ganz woanders hinwünscht.
Wir fühlen uns zueinander hingezogen, Wintrow und ich. Aber in seiner Wut über seine Lage widerstrebt er diesem Band. Und ich schäme mich dafür, dass ich so oft nach ihm taste.«
Es war schrecklich, den Zwiespalt des Schiffs nachzuempfinden. Viviace kämpfte gegen ihre eigene Sehnsucht nach Wintrows Gesellschaft an und zwang sich, in einer kalten Isolation zu verharren, die so grau wie eine Nebelbank war. Althea konnte sie fast körperlich empfinden:
Es war ein schrecklicher Ort, regengepeitscht, kalt und endlos grau. Es verstörte sie. Noch während Althea nach tröstenden Worten suchte, ertönte eine laute Stimme, die das übliche Geschrei und den Lärm auf dem Pier übertönte. »Du! Du da! Geh von dem Schiff weg! Befehl des Kapitäns, du darfst nicht an Bord kommen.«
Althea legte den Kopf in den Nacken und schirmte ihre Augen zum Schutz gegen die grelle Sonne ab. Sie starrte Torg an, als habe sie seine Stimme nicht sofort erkannt. »Das, Sir, ist ein öffentlicher Pier«, erklärte sie ruhig.
»Schon möglich, aber das ist kein öffentliches Schiff. Also schieb ab!«
Noch vor zwei Monaten hätte sich Althea wütend auf ihn gestürzt. Aber die Zeit, die sie allein mit der Viviace in ihrer Kajüte verbracht hatte, und die Ereignisse der letzten drei Tage hatten sie verändert. Ich bin vielleicht nicht unbedingt sanftmütiger, dachte sie unbeteiligt, aber ich habe gelernt, meine Wut in eine schreckliche Geduld zu packen. Was nützt es schon, einem armseligen und tyrannischen Zweiten Maat Schimpfworte an den Kopf zu werfen? Er war nur ein kleiner Kläffer. Sie war eine Tigerin. Man verschwendete nicht einmal ein Fauchen an eine solche Kreatur. Sondern man wartete, bis man ihr mit einem einzigen Hieb das Rückgrat zerschmettern konnte. Torg hatte sein Schicksal mit der Misshandlung von Wintrow besiegelt. Und seine Grobheit Althea gegenüber würde ebenfalls vergolten werden.
Mit einem Schwindelgefühl erkannte Althea das, während ihre Hand noch auf den Planken ruhte, ihre Gedanken die der Viviace waren und die des Schiffes die ihren. Schließlich löste sie sich von dem Schiff und hatte das Gefühl, als stecke ihre Hand bis zum Handgelenk in einer zähen Masse. »Nein, Viviace«, sagte Althea ruhig. »Lass dich nicht von meinem Ärger anstecken. Und überlass die Rache mir, beschmutze dich nicht damit. Du bist zu groß und zu schön, es ist deiner nicht würdig.«
»Aber dann ist er es auch nicht wert, auf meinem Deck herumzustolzieren«, antwortete Viviace mit einer tiefen, bitteren Stimme. »Warum muss ich Ungeziefer wie ihn tolerieren, während du an Land verbannt worden bist? Du willst mir doch nicht erzählen, dass es Sitte bei den Vestrits ist, ihre Familienangehörigen so schlecht zu behandeln.«
»Nein, nein, das ist es auch nicht«, erklärte Althea.
»Ich sagte, sieh zu, dass du weiterkommst!«, rief Torg ihr vom Deck aus zu. Althea warf ihm einen kurzen Blick zu. Er lehnte sich über die Reling und drohte ihr mit der Faust. »Geh weiter, oder ich sorge dafür, dass du weitergehst!«
»Er kann gar nichts machen«, versicherte Althea dem Schiff.
Doch noch während sie redete, hörte sie einen unterdrückten Schrei und dann das laute Krachen einer schweren Last in Viviaces Frachträumen. Irgendjemand fluchte ausgiebig auf Deck und dann wurden Rufe nach Torg laut. Die Stimme eines jungen Seemanns hob sich deutlich von denen der anderen ab.
»Der Flaschenzug hat sich vom Balken gelöst, Sir! Ich schwöre, dass er fest war, als wir angefangen haben zu arbeiten.«
Torgs Kopf war verschwunden, und Althea hörte, wie er über das Deck rannte. Das Löschen der Fracht wurde abrupt unterbrochen, als die Mannschaft herbeiströmte und die zerschmetterte Palette und die Kisten und die überall verstreuten Kampfernüsse anglotzte. »Das dürfte ihn eine Weile beschäftigen«, meinte Viviace liebenswürdig.
»Ich muss trotzdem gehen«, sagte Althea hastig. Wenn sie blieb, musste sie das Schiff fragen, ob sie etwas mit dem Zwischenfall am Flaschenzug zu tun hatte. Und das war ihr viel zu unangenehm. Ihr war es lieber, wenn sie mit einem Verdacht leben konnte, ohne dass
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