Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
nur die Mannschaft des Paragon ein schlimmes Schicksal erlitten hatte. Der Galionsfigur selbst war übel mitgespielt worden. Man hatte ihm mit Beilen die Augen ausgehackt. Von dem finsteren Blick des Schiffes war nichts übriggeblieben als zersplittertes Holz.
Und ein auffälliger Stern mit sieben Spitzen verunstaltete glühend wie eine Brandnarbe seine Brust. Noch schrecklicher war, dass der Mund sich verzog und Flüche ausstieß wie immer und dass die Hände umhertasteten und drohten, jeden in Stücke zu reißen, der zu nahe herantrat.
Diejenigen, die kühn genug waren, dennoch an Bord zu gehen, berichteten, dass das Schiff bis auf die blanken Bohlen ausgeräumt war. Nichts war von den Männern übrig, die auf ihm gesegelt waren, kein Schuh, kein Messer, kein Garnichts. Selbst die Logbücher waren verschwunden. All seiner Erinnerungen beraubt, murmelte und lachte und fluchte das Zauberschiff, redete mit sich selbst und stieß Worte bar jeden Sinnes hervor.
So war der Paragon immer gewesen, solange Althea sich erinnern konnte. Der Pariah oder auch Todeskandidat , wie man ihn manchmal nannte, wurde gelegentlich von einer besonders hohen Welle beinahe geflutet, aber der Hafenmeister hatte ihn auf den Strandklippen gut verankert. Er wollte nicht zulassen, dass sich der Rumpf losriss und auf See hinaustrieb, wo er möglicherweise eine Gefahr für die anderen Schiffe werden konnte. Offiziell war der Pariah jetzt Eigentum von Amis Ludlock, aber Althea bezweifelte, dass sie jemals dem Wrack des Zauberschiffes auch nur einen Besuch abgestattet hatte. Wie alle verrückten Verwandten wurde er versteckt gehalten, und man sprach nur flüsternd über ihn, wenn überhaupt. Althea stellte sich vor, dass die Viviace ebenfalls ein solches Schicksal ereilen könnte, und schüttelte sich.
»Mehr Wein?«, fragte sie der Kellnerjunge nachdrücklich.
Althea schüttelte rasch den Kopf, als ihr auffiel, dass sie schon viel zu lange an diesem Tisch verweilt hatte. Hier zu sitzen und über die Tragödien anderer Leute nachzugrübeln, würde ihre eigene Lage schwerlich verbessern. Sie musste handeln. Als erstes sollte sie ihrer Mutter erzählen, wie besorgt das Zauberschiff gewesen zu sein schien, und irgendwie musste sie sie überzeugen, Althea wieder an Bord zu lassen, damit sie mit Viviace segeln konnte. Und das Zweite, was sie tun würde, beschloss sie, das war, sich eher die Kehle durchzuschneiden, als in irgendein kindisches Jammern zu verfallen.
Sie verließ das Restaurant und ging über die geschäftigen Straßen des Marktes. Je stärker sie versuchte, sich auf ihre Probleme zu konzentrieren, desto schwerer fiel es ihr zu entscheiden, welches sie zuerst angehen sollte. Sie musste irgendwo schlafen, etwas zu Essen suchen und sich eine Arbeit besorgen. Ihr geliebtes Schiff war in unverständige Hände geraten, und sie konnte nichts dagegen tun. Sie versuchte, irgendwelche Bundesgenossen ausfindig zu machen, auf deren Hilfe sie sich verlassen konnte, doch ihr fiel niemand ein. Sie verwünschte sich dafür, dass sie niemals die Gesellschaft der anderen Händler und von deren Söhnen und Töchtern gepflegt hatte. Sie hatte keinen Galan, an den sie sich wenden konnte, hatte keinen besten Freund, der ihr für ein paar Tage Unterschlupf gewähren würde. An Bord der Viviace hatte sie ihren Vater als Gefährten gehabt und ernste Gespräche mit ihm geführt, und die Mannschaft vertrieb ihr die Langeweile und scherzte mit ihr. Ihre Tage in Bingtown hatte sie entweder zu Hause verbracht und den Luxus eines weichen Bettes und heißer Mahlzeiten genossen, oder sie war ihrem Vater gefolgt, wenn er Geschäfte in der Stadt abschloss. Sie kannte Curtil, seinen Ratgeber, und verschiedene Geldwechsler sowie eine Menge Händler, die von ihnen während all der Jahre Waren gekauft hatten. An keinen von ihnen hätte sie sich jedoch in ihrer gegenwärtigen Notlage wenden können.
Und sie konnte auch nicht nach Hause gehen, ohne dass es so aussah, als krieche sie zu Kreuze. Außerdem wusste sie nicht, was Kyle tun würde, wenn sie sich der Schwelle ihres Hauses näherte, selbst wenn sie nur ihre Sachen abholen wollte. Sie wollte sich nicht an ihm vorbeischleichen und in ihr Zimmer einschließen wie ein unartiges Kind. Trotzdem hatte sie eine Verpflichtung der Viviace gegenüber, die nicht so einfach aufhörte, auch nicht, nachdem sie erklärt hatten, das Schiff gehöre ihr nicht mehr.
Sie rettete schließlich ihr Gewissen, indem sie einen Botenläufer
Weitere Kostenlose Bücher