Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
niemand Befehle schrie, seine Laderäume mit Seewasser und mit Stille volliefen, gab es keinen Frieden. Langeweile, ja, das schon, aber keinen Frieden. Die silbernen Fischschwärme mieden ihn. Sie kamen auf ihn zugeschwommen wie eine Phalanx aus Seevögeln, nur um dann ruckartig umzuschwenken, immer noch in Formation, wenn sie seinen Kern aus unheiligem Hexenholz wahrnahmen.
Er bewegte sich allein in einer Welt aus gedämpften Geräuschen und vernebelten Farben, atemlos und schlaflos.
Dann kamen die Seeschlangen.
Sie schienen von ihm fasziniert zu sein, als stieße er sie ab und ziehe sie gleichzeitig an. Sie verspotteten ihn und klappten ihre mit endlosen Zähnen bestückten Mäuler direkt vor seinem Gesicht und seinen Armen auf und zu. Er versuchte sie wegzudrücken, aber sie umdrängten ihn, ließen zu, dass er wie verrückt mit den Fäusten gegen ihre Körper hämmerte, und verrieten mit keiner Regung, dass sie seine Kraft als etwas Gewaltigeres empfanden als das hilflose Wedeln eines Fisches.
Sie sprachen untereinander über ihn, ein Trompeten unter Wasser, das er beinahe verstand. Das war das Erschreckendste daran: Er verstand sie beinahe. Sie sahen ihm tief in die Augen, sie umschlangen seinen Rumpf mit ihren schlangengleichen Umarmungen und hielten ihn so fest, dass es einerseits bedrohlich war, ihn aber auch an etwas erinnerte. Es lauerte in der entferntesten Ecke seines Gedächtnisses, eine Spur von Vertrautheit, die zu erschreckend war, um in sein Bewusstsein gelangen zu dürfen. Sie hielten ihn fest und zogen ihn hinab, tiefer und tiefer, so dass die Ladung, die immer noch in ihm festgeschnallt war, heftig an ihm riss, weil sie an die Oberfläche steigen wollte. Die ganze Zeit beschuldigten sie ihn, stellten ihm wütende Fragen, als ob ihr Ärger ihn hätte zwingen können, sie zu verstehen.
»Paragon?«
Er schrak hoch und riss sich aus dem Traum, in dem er die ewige Hölle der Finsternis gesehen hatte. Er versuchte, die Augen zu öffnen. Selbst nach all den Jahren versuchte er immer noch, die Augen zu öffnen und zu sehen, wer ihn ansprach. Unsicher senkte er seine hochgestreckten Arme und kreuzte sie schützend über seiner vernarbten Brust, um die Schande dort zu verbergen. Er hätte ihre Stimme fast erkannt.
»Ja?«, fragte er vorsichtig.
»Ich bin’s. Althea.«
»Dein Vater dürfte ziemlich ärgerlich sein, wenn er dich hier findet. Er wird dich anschreien.«
»Das war schon vor langer Zeit, Paragon. Damals war ich noch ein kleines Mädchen. Ich habe dich seitdem häufig besucht. Erinnerst du dich nicht daran?«
»Ich glaube schon. Du kommst nicht sehr oft. Und daran, dass dein Vater dich angeschrien hat, als er dich hier bei mir gefunden hat, erinnere ich mich am besten. Er hat mich ein ›verfluchtes Wrack‹ genannt und ›die schlimmste Sorte Unglück, die einem Menschen widerfahren kann‹.«
Sie klang beinahe beschämt, als sie antwortete: »Ja. Daran erinnere ich mich auch. Sehr genau.«
»Vermutlich nicht so genau wie ich. Aber wahrscheinlich hast du auch eine größere Zahl an Erinnerungen, aus denen du schöpfen kannst.«
Zögernd fügte er hinzu: »Man sammelt keine großen Erfahrungen, wenn man an einen Strand gezogen wird.«
»Ich bin sicher, dass du zu deiner Zeit viele Abenteuer erlebt hast«, meinte Althea.
»Anzunehmen. Es wäre nur schön, wenn ich mich noch an einige erinnern könnte.«
Er hörte, dass sie näher kam. Anhand des veränderten Winkels, aus dem nun ihre Stimme kam, schätzte er, dass sie sich jetzt auf einen Felsen am Strand gesetzt hatte. »Du hast mir von Dingen erzählt, an die du dich erinnert hast. Als ich noch ein kleines Mädchen war und hierher gekommen bin, hast du mir alle möglichen Geschichten erzählt.«
»Die meisten dürften Lügen gewesen sein. Ich erinnere mich nicht daran. Vielleicht habe ich mich damals daran erinnert, aber jetzt nicht mehr. Ich glaube, meine Erinnerung verschwimmt. Brashen glaubt, es liegt daran, dass mein Logbuch verschwunden ist. Er sagt, ich scheine nicht mehr soviel von meiner Vergangenheit zu wissen, wie ich eigentlich sollte.«
»Brashen?«, fragte Althea überrascht.
»Ein anderer Freund«, erwiderte Paragon scheinbar unbedacht.
Es gefiel ihm, sie mit der Nachricht zu überraschen, dass er noch einen Freund hatte. Manchmal irritierte es ihn, dass sie zu erwarten schienen, es würde ihn freuen, sie zu sehen, als wären sie die einzigen Menschen, die er kannte. Und obwohl das stimmte, sollten sie nicht so
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