Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
für sich selbst einen Platz in der Regenwildstraße zu beanspruchen. Altheas Frustration und Wut der letzten Wochen fanden plötzlich ein Ziel. »Du spielst auf mein Lebensschiff an«, erklärte sie. Die Zurechtweisung war nicht zu überhören – wie konnte diese Frau es wagen, über ihr Schiff zu reden!
»Hat man neuerdings Sklaverei in Bingtown legalisiert?«
Erneut verriet das Gesicht der Frau mit keiner Miene ihre Gedanken. Amber stellte diese Frage, als hätte sie sich ganz natürlich aus Altheas letzten Worten ergeben.
»Natürlich nicht! Sollen die Chalcedeaner doch ihren niederen Sitten frönen! Bingtown wird sie niemals als Recht anerkennen.«
»Aha. Aber…«, sie machte eine winzige Pause, »… du hast doch von dem Lebensschiff als deinem Schiff gesprochen. Kann denn ein Lebewesen ein anderes Lebewesen besitzen?«
»Die Viviace gehört zu mir, wie ich auch von meiner Schwester spreche. Als Familie.«
Althea spie die Worte förmlich aus. Sie wusste nicht einmal, warum sie so wütend war.
»Familie. Verstehe.«
Amber stand mit einer fließenden Bewegung auf. Sie war größer, als Althea erwartet hatte. Und sie war nicht hübsch, geschweige denn schön, aber trotzdem hatte sie etwas Faszinierendes an sich. Ihre Kleidung war bescheiden, aber ihre Haltung vornehm. Ihr Auftreten entsprach der Schlichtheit und Eleganz ihrer Schnitzereien.
Sie sah Althea an. »Du behauptest, dass du eine Schwester vom Holze bist.«
Amber lächelte kaum merklich, aber diese Geste veränderte ihren Mund, machte ihn beweglicher, großmütiger.
»Vielleicht haben wir doch mehr gemein, als ich zu hoffen gewagt habe.«
Selbst dieses winzige Zeichen von Freundlichkeit verstärkte Altheas Misstrauen. »Du hast gehofft?«, fragte sie kühl.
»Warum solltest du hoffen, dass wir überhaupt etwas gemein haben?«
Das Lächeln vertiefte sich. »Weil es uns beiden die Dinge erleichtern würde.«
Althea weigerte sich, den Köder zu schlucken und eine weitere Frage zu stellen.
Nach einer Weile seufzte Amber. »Was für ein halsstarriges Mädchen. Ich muss sagen, dass ich dich selbst dafür bewundere.«
»Bist du mir neulich gefolgt… an dem Tag, an dem ich dich im Hafen in der Nähe der Viviace gesehen habe?«
Altheas Worte hörten sich eher wie eine Anschuldigung als wie eine Frage an, aber Amber schien keinen Anstoß daran zu nehmen.
»Ich kann dir wohl nur schwerlich gefolgt sein«, meinte sie, »da ich schließlich vor dir da war. Ich muss allerdings zugeben, dass mir, als ich dich zuerst gesehen habe, der Gedanke gekommen ist, dass du vielleicht mir gefolgt sein könntest…«
»Aber wie du mich angesehen hast…«, widersprach Althea unwillig. »Ich will nicht behaupten, dass du lügst, aber es kam mir so vor, als hättest du nach mir gesucht. Mich beobachtet.«
Amber nickte langsam, mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen. »Mir kam es auch so vor. Und dennoch habe ich dich gar nicht gesucht.«
Sie spielte mit ihren Ohrringen und versetzte erst den Drachen und dann die Schlange in Schwingungen. »Ich bin zum Hafen gegangen, um einen neunfingrigen Sklavenjungen zu suchen, wenn du mir das glauben magst.«
Sie lächelte seltsam.
»Stattdessen habe ich dich gefunden. Es gibt Zufälle, und es gibt Schicksal. Ich bin mehr als bereit, mich mit Zufällen anzulegen. Aber die wenigen Male, die ich mit dem Schicksal gestritten habe, habe ich verloren. Und zwar bitterlich.«
Sie schüttelte den Kopf und ließ so all ihre unterschiedlichen Ohrringe schwingen. Ihr Blick schien abzuschweifen, in innere Gefilde, in andere Zeiten. Dann sah sie wieder auf und begegnete Altheas Blick. Sofort milderte ein Lächeln ihre Gesichtszüge.
»Aber das trifft nicht auf alle Menschen zu. Einigen ist es bestimmt, mit dem Schicksal zu ringen. Und zu gewinnen.«
Darauf wusste Althea keine Antwort und schwieg. Nach einer Weile trat die Frau an eines ihrer Regale und holte einen Korb herunter. Wenigstens hatte er auf den ersten Blick wie ein Korb ausgesehen. Als sie sich näherte, erkannte Althea, dass er aus einem einzigen Stück Holz herausgearbeitet worden war. Alles Überflüssige war weggeschnitten worden, bis nur noch ein Geflecht aus verwobenen Strängen übrigblieb. Amber schüttelte den Korb, als sie näher kam, und der Inhalt klapperte und rasselte aneinander. Es war ein angenehmes Geräusch.
»Such dir eine aus«, bot sie Althea an und hielt ihr den Korb hin. »Ich möchte dir etwas schenken.«
In dem Korb befanden sich Perlen.
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