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Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler

Titel: Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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die Jahre allmählich aus der Gesellschaft von Bingtown zurückgezogen, ohne dass sie es wirklich bemerkt hatte. Jede andere Frau in ihrem Alter hätte in den letzten sechs Monaten mindestens an sechs Veranstaltungen teilgenommen, an Bällen und anderen Festivitäten. Sie war nicht mehr auf einem Fest gewesen, seit… ach, seit dem Erntedankball. Ihre Segeltörns hatten das nicht erlaubt. Damals waren ihr diese Bälle auch unwichtig vorgekommen, etwas, das sie noch erleben konnte, später, später. Jetzt war es zu spät. Vorbei und vergessen, die Kleider, die für sie genäht wurden, mit dazu passenden Schuhen, die bemalten Lippen und der parfümierte Hals. Sie waren versunken, wie der Leichnam ihres Vaters im Meer.
    Das Leid, das sie betäubt gewähnt hatte, würgte sie plötzlich und nahm ihr den Atem. Sie drehte sich um und lief blindlings weiter, erst eine Straße hinauf, dann die andere hinunter. Sie blinzelte heftig und weigerte sich, die Tränen fließen zu lassen.
    Als sie sich schließlich wieder im Griff hatte, drehte sie sich um und orientierte sich.
    Sie stand direkt vor dem Schaufenster von Ambers Geschäft.
    Wie schon zuvor trieb ihr die Vorahnung einen Schauer über den Rücken. Sie wusste zwar nicht, warum sie sich von einer einfachen Schmuckhändlerin bedroht fühlen sollte, aber nichtsdestotrotz empfand sie genau das. Dabei war diese Frau nicht einmal eine ordentliche Händlerin, ja nicht einmal eine richtige Juwelierin. Sie schnitzte Holz, in Sas Namen! Holz, und das verkaufte sie als Schmuck! Im gleichen Moment beschloss Althea, sich die Waren der Frau selbst anzusehen.
    Mit derselben Entschlossenheit, mit der sie eine Brennnessel packte und auszog, schob sie die Tür auf und betrat das Geschäft.
    Drinnen war es kühler und nach dem hellen Sonnenlicht auf den Straßen dunkel. Nachdem sich ihre Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, sah Althea sich um. Sie umgab hochglanzpolierte Schlichtheit. Der Boden bestand aus glatten Schiffsplanken. Die Regale waren ebenfalls aus einfachem Holz. Ambers Waren waren auf gefärbten Stoffen auf den Regalen angeordnet. Einige der feineren Halsketten ruhten auf Regalen hinter einem Tresen. Dort standen auch Holztöpfe, die mit Holzperlen in allen Farben gefüllt waren, die Holz hervorbrachte.
    Amber bot aber nicht nur Schmuck feil. Es gab einfache Schüsseln und Teller, die mit hoher Geschicklichkeit und einem aufmerksamen Auge für die Maserung geschnitzt waren.
    Hölzerne Kelche hätten auch der Tafel eines Königs zur Ehre gereicht, Haarkämme aus duftendem Holz ruhten auf den Auslagen. Nichts war aus Stücken gefertigt, die man hätte zusammenfügen müssen. In jedem Fall waren die Formen im Holz entdeckt und als Ganzes aus dem Stück herausgearbeitet worden. Ihre Brillanz erhielten sie durch die Arbeit des Schnitzens und Polierens. In einem Fall war sogar ein Stuhl aus einem großen Holzstamm angefertigt worden. Er sah ganz anders aus als alle Stühle, die Althea jemals gesehen hatte.
    Beine hatte er keine, aber dafür eine glatte Höhlung, in die sich ein schlanker Mensch hineinschmiegen konnte. Und in dieser Höhlung kauerte mit angezogenen Knien und mit Füßen an ihren Sandalen, die unter dem Saum ihres langen Gewandes hervorlugten… Amber.
    Es durchzuckte Althea, dass sie Amber einen Moment direkt angesehen hatte, ohne sie zu erkennen. Es muss an ihrer Haut, ihrem Haar und ihren Augen liegen, dachte sie. Die Frau bestand scheinbar nur aus einer Farbe, selbst was ihre Kleidung anging, und diese Farbe war identisch mit dem honigfarbenen Holzton des Stuhls. Sie sah Althea fragend an.
    »Du wolltest mich sehen?«, fragte sie ruhig.
    »Nein«, entfuhr es Althea unwillkürlich. Wenigstens entsprach das der Wahrheit. Dann riss sie sich mühsam zusammen und presste hervor: »Ich war nur neugierig auf diesen Holzschmuck, von dem ich soviel gehört habe.«
    »Du bist wirklich eine Kennerin von schönem Holz«, meinte Amber mit einem Nicken.
    Diese Worte schienen keine Anspielung zu enthalten. Fast keine. War es ein drohender Unterton? Oder ein sarkastischer? Oder nur eine einfache Feststellung? Althea wurde daraus nicht schlau. Und plötzlich ertrug sie es nicht, dass diese einfache Holzhandwerkerin, diese Künstlerin, es wagte, so mit ihr zu sprechen. Bei Sa, sie war immerhin die Tochter eines Bingtown-Händlers und nach gültigem Recht selbst eine Bingtown-Händlerin! Und diese Frau war nicht mehr als eine Fremde in ihrer Siedlung, die es gewagt hatte,

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