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Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler

Titel: Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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beobachtete, wie Bingtown näher kam. Die nackten Masten der Karavellen wirkten wie ein schwimmender Wald in den Hafenanlagen, die die friedliche Bucht säumten. Kleinere Boote eilten geschäftig zwischen den vor Anker liegenden Schiffen und dem Ufer hin und her. Heimat.
    Sie hatte siebzehn Tage in dieser Kajüte verbracht, sie nur verlassen, wenn es nötig war – und dann auch nur während der Wachen, in denen Kyle schlief. Die ersten Tage hatte sie gekocht vor Wut und gelegentlich geweint, als sie sich gegen diese Ungerechtigkeit aufgelehnt hatte. Kindlich hatte sie sich geschworen, die Restriktionen einfach zu ertragen, die er ihr auferlegt hatte, damit sie sich am Ende der Reise bei ihrem Vater beschweren konnte. »Sieh nur, wozu du mich gebracht hast!«, sagte sie zu sich selbst und lächelte schwach. Es war der alte Schrei, als sie noch klein gewesen war und mit Keffria gestritten hatte. Die zerbrochenen Teller oder die Vase, der Eimer Wasser, der vergossen wurde, oder das Kleid, das zerrissen war: Sieh nur, wozu du mich gebracht hast! Keffria hatte es mindestens ebensooft ihrer nervigen jüngeren Schwester zugeschrien, wie Althea es lauthals ihrer älteren Unterdrückerin entgegengekreischt hatte.
    Aber das war nur der Anfang ihres Rückzugs gewesen. Sie hatte abwechselnd finster gebrütet oder heiß gewütet und sich ausgemalt, was sie sagen würde, falls Kyle es wagen sollte, ihre Kabine zu betreten. Sei es, um sich zu überzeugen, dass sie ihm gehorchte, oder um ihr zu sagen, dass er seinen Befehl bereute.
    Während sie darauf wartete, las sie all ihre Bücher und Schriftrollen und breitete sogar die Seide aus. Sie überlegte, ob sie selbst anfangen sollte, ein Kleid zu schneidern. Aber ihre Nähkünste waren eher für grobes Segeltuch geeignet denn für Seide, und das Material war zu wertvoll, um es zu verpfuschen. Stattdessen flickte sie all ihre Schiffskleidung.
    Aber selbst diese Aufgabe ging irgendwann zu Ende. Sie hasste diese leere, müßige Zeit, die ihr noch bevorstand. An einem Abend ärgerte sie sich so sehr über die Enge ihrer zu kleinen Koje, dass sie die Decken auf den Boden warf und es sich dort bequem machte, während sie Deldoms Journal eines Händlers zum wiederholten Male las. Dabei schlief sie ein. Und träumte.
    Als kleines Mädchen hatte sie oft auf den Decks der Viviace geschlafen oder einen Abend auf den Planken der Kapitänskajüte ihres Vaters verbracht und seine Bücher gelesen.
    Wenn sie dabei einnickte, träumte sie immer lebhaft und hatte halbwache Phantasien. Als sie älter wurde, schalt ihr Vater sie für dieses Verhalten und sorgte dafür, dass sie genug zu tun bekam, so dass sie keine Zeit mehr hatte, an Deck zu dösen.
    Immer, wenn sie sich an ihre alten Träume erinnerte, führte sie diese auf die lebhafte Phantasie eines Kindes zurück. Doch in dieser Nacht, auf den Planken ihrer eigenen Kajüte, kamen ihre kindlichen Träume bunt und in allen Einzelheiten wieder. Der Traum war zu lebhaft, als dass sie ihn einfach nur als Produkt ihres eigenen Verstandes hätte abtun können.
    Sie träumte von ihrer Großmutter, einer Frau, die sie niemals kennengelernt hatte. Aber in ihren Träumen kannte sie Talley so gut wie sich selbst. Talley Vestrit schritt über die Decks und bellte Seeleuten Befehle zu, während diese sich mitten in einem gewaltigen Sturm durch ein Gewirr von zerfetztem Segeltuch und zersplittertem Holz kämpften. In einem Augenblick begriff Althea, was passiert war, als wäre es ihre eigene Erinnerung.
    Eine große Welle hatte den Mast und den Ersten Maat mit sich gerissen, und Kapitän Vestrit selbst hatte sich zur Mannschaft gesellt, um mit klaren Befehlen Ordnung und Zuversicht wiederherzustellen. Sie glich überhaupt nicht ihrem Porträt.
    Darauf sah man eine Frau sanft in ihrem Sessel sitzen, sittsam in schwarzer Wolle und weißer Spitze gekleidet, einen streng blickenden Ehemann an ihrer Seite. Althea hatte immer gewusst, dass es ihre Großmutter gewesen war, die den Bau der Viviace in Auftrag gegeben hatte. In dem Traum jedoch war sie nicht nur einfach die Frau, die zu den Geldverleihern und Schiffsbauern gegangen war, sie war auch zu der Frau geworden, die das Meer und Schiffe liebte und kühn den Kurs all ihrer Nachfahren festgelegt hatte, indem sie sich entschied, ein Zauberschiff zu erwerben. Oh, könnte sie selbst doch in einer solchen Zeit leben, in der eine Frau eine solche Autorität hatte ausüben dürfen!
    Der Traum war kurz und deutlich, wie

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