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Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler

Titel: Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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das Bild, das sich einem bei einem Blitz in die Netzhaut einbrennt. Doch als Althea aufwachte, Wange und Handflächen an die Bohlen gepresst, hegte sie keinen Zweifel an der Echtheit der Vision. Dafür waren es einfach zu viele Einzelheiten gewesen, die sich ihr eingeprägt hatten. In dem Traum hatte die Viviace an Bug und Heck Segel gesetzt oder was davon nach einem wilden Sturm übriggeblieben war. Althea hatte noch nie gesehen, dass sie so ausgestattet war. Sie begriff sofort die Vorteile einer solche Takelage und teilte während ihres Traums den Glauben ihrer Großmutter daran.
    Als sie aufwachte und feststellte, dass sie Althea war, wurde ihr schwindlig, so stark war sie in Talley eingetaucht. Noch Stunden später konnte sie die Augen schließen und sich an diese Sturmnacht erinnern. Talleys reale Erinnerungen gingen ihr im Kopf herum wie eine fremde Karte in einem Spiel. Sie waren ihr von der Viviace eingegeben worden, eine andere Erklärung gab es nicht.
    In dieser Nacht legte sie sich zum Schlafen absichtlich auf den Boden ihrer Kajüte. Die geölten und polierten Planken waren zwar nicht bequem, aber trotzdem legte sie weder Kissen noch Decke unter sich. Die Viviace belohnte ihr Vertrauen. Althea verbrachte einen Nachmittag mit ihrem Großvater, als er behutsam einen der engen Kanäle der Parfüminseln durchquerte. Sie sah über seine Schulter und bemerkte, wie er die scharfen Felsen umschiffte, wurde Zeugin, wie er ein Boot aussetzte und seinen Männern befahl, sie schneller durch eine Stelle zu ziehen, die nur bei einem bestimmten Wasserstand zu befahren war. Es war sein Geheimnis, und es brachte den Vestrits das Monopol für ein bestimmtes, stark duftendes Baumharz. Niemand war seit dem Tod ihres Großvaters die Kanäle hinaufgefahren, um Handel mit den Dorfbewohnern zu treiben. Wie alle Kapitäne nahm er mehr Wissen mit in den Tod, als er seinen Nachfahren hinterlassen konnte. Er hatte keine Karten angefertigt. Aber sein Wissen war nicht verloren, sondern es war in der Viviace am Leben und würde mit ihr zum Leben erweckt werden, wenn sie erwachte. Althea war sicher, dass sie das Schiff selbst jetzt schon diesen Kanal hinaufsegeln könnte, so vollständig hatte es ihr diese Geheimnisse weitergegeben.
    Nacht für Nacht lag Althea auf dem Boden und träumte mit ihrem Schiff. Selbst am Tag lag sie dort, die Wangen fest auf die Planken gepresst, und dachte über ihre Zukunft nach. Sie stimmte sich immer mehr auf die Viviace ein, auf das Zittern ihres hölzernen Rumpfs, wenn sie auf einen plötzlichen Kurswechsel reagierte, oder auf die friedlichen Geräusche, die das Holz machte, wenn der Wind sie auf einem sicheren Kurs hielt. Die Schreie der Matrosen und das leichte Beben ihrer Schritte auf Deck waren kaum deutlicher als die Schreie der Möwen, die sich manchmal auf den Masten niederließen. Zu solchen Zeiten schien es Althea, als würde sie selbst eins mit dem Schiff werden und die kleinen Menschen, die die Masten hinaufkletterten, nur wahrnehmen, wie ein Wal die Muscheln spürte, die auf ihm klebten.
    Aber das Schiff erlebte viel mehr als nur die Menschen, die auf ihm arbeiteten. Althea konnte die feinen Unterschiede nicht in Worte fassen, die sie jetzt im Wind und in der Strömung wahrnahm. Es war eine Freude, mit einem guten Steuermann zu arbeiten, und ein Ärgernis, wenn einer das Ruder führte, der stets winzige und überflüssige Korrekturen machte. Aber das alles war nicht wichtig im Vergleich zu dem, was zwischen dem Schiff und dem Wasser vorging. Die Erfahrung, dass das Leben eines Schiffes weit umfassender war als das, was zwischen ihm und dem Kapitän vorging, war für Althea eine wichtige Erkenntnis. In diesen wenigen Nächten wurde ihre gesamte Vorstellung von einem Schiff vollkommen verändert.
    Die Tage, die sie abgeschieden in ihrer Kajüte verbrachte, waren jetzt kein aufgezwungener Arrest mehr, sondern eine tiefgreifende Erfahrung. Sie erinnerte sich noch gut an einen Tag, an dem sie die Tür aufgemacht und von gleißendem Sonnenlicht begrüßt wurde, statt von der Dunkelheit der Nacht, wie sie es eigentlich erwartet hatte. Der Koch war sogar so kühn gewesen, sie an der Schulter zu rütteln, als sie bei einem ihrer Essensbesuche in der Kombüse in einen Tagtraum verfallen war. Später hatte sie sich über einen Eindringling geärgert, der an ihre Tür geklopft hatte. Als sie sie öffnete, stand nicht Kyle, sondern Brashen davor. Ihm war sichtlich unwohl bei der Frage, aber er wollte

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