Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
Fahrt hierher war ihm klargeworden, dass er nicht genau wusste, was er erwarten sollte. Und seit seiner Ankunft hatte sich dieses Gefühl noch verstärkt. Am ersten Tag hatte er sich fast nur mit seiner Mutter unterhalten, und diese Gespräche hatten fast ausschließlich darin bestanden, dass sie ihre Verblüffung darüber ausdrückte, wie dünn er geworden war.
Oder sie hatte ihn liebevoll umarmt und sich erinnert, mit Sätzen, die unausweichlich mit den Worten begannen: »Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, aber…«
Malta war ihm einst so nahe gewesen wie sein Schatten, doch jetzt nahm sie es ihm übel, dass er nach Hause gekommen war und ihr etwas von der Aufmerksamkeit ihrer Mutter nahm. Sie sprach nicht mit ihm, sondern über ihn, und machte bösartige Bemerkungen über ihn, sobald ihre Mutter weg war, und zwar gegenüber den Dienern oder Seiden. Und es war auch nicht gerade hilfreich, dass sie mit ihren zwölf Jahren größer war als er und bereits fast wie eine Frau aussah. Niemand hätte vermutet, dass er der Ältere war. Seiden war noch ein Baby gewesen, als er von zu Hause weggegangen war, und tat ihn jetzt als einen Verwandten ab, der zu Besuch gekommen war, einer, den kennenzulernen sich kaum lohnte, weil er zweifellos bald wieder abreisen würde. Wintrow hoffte inständig, dass Seiden recht hatte. Er wusste, dass es sich nicht schickte, einen schnellen Tod seines Großvaters herbeizusehnen, damit alles endlich vorbei war und er zu seinem Kloster und seinem Leben zurückkehren konnte. Aber es abzustreiten wäre eine Lüge gewesen.
Sie standen vor dem Raum des Sterbenden und senkten die Stimmen, als besprächen sie Geheimnisse – als ob sein Tod nicht laut erwähnt werden sollte. Für Wintrow machte das keinen Sinn. Sicher war es das, wonach der alte Mann sich sehnte. Er musste sich zwingen zuzuhören, was da gesprochen wurde.
»Ich glaube, es ist das Beste, überhaupt nichts davon zu sagen«, erklärte seine Großmutter gerade seinem Vater. Sie hielt den Drehknopf der Tür in der Hand, drehte ihn aber nicht herum. Sie schien ihm den Zutritt zu dem Raum verwehren zu wollen.
Aus der finsteren Miene seines Vaters schloss Wintrow, dass Kyle Haven seiner Schwiegermutter nicht zustimmte. Aber seine Mutter hielt ihn am Arm gepackt, sah ihn flehentlich an und nickte wie eine Puppe.
»Es würde ihn nur aufregen«, warf sie ein.
»Und zwar völlig sinnlos«, fuhr Wintrows Großmutter fort, als sprächen Keffria und sie aus einem Mund. »Es hat mich Wochen gekostet, ihn zu unserer Sicht der Dinge zu bewegen. Er hat zugestimmt, wenn auch zähneknirschend. Alle Beschwerden würden die Diskussion nur wieder neu aufflammen lassen. Und wenn er erschöpft ist und Schmerzen hat, dann kann er überraschend halsstarrig sein.«
Sie hielt inne, und beide Frauen blickten zu Wintrows Vater hoch, als wollten sie seine Einwilligung erzwingen. Er nickte nicht einmal. Schließlich sagte er widerwillig: »Ich bringe das Thema nicht sofort zur Sprache. Lasst ihn uns zuerst zum Schiff hinunterbringen. Das ist im Augenblick das Wichtigste.«
»Genau«, stimmte ihm Großmutter Vestrit zu und öffnete nun die Tür. Sie traten ein. Aber als Malta und Seiden ebenfalls eintreten wollten, verstellte sie ihnen den Weg. »Ihr Kinder lauft und lasst euch von eurem Kindermädchen frische Kleidung einpacken. Malta, geh zur Köchin und sag ihr, dass sie uns einen Korb mit Essen fertigmachen soll.«
Als sie Wintrow ansah, schwieg sie, als rätselte sie einen Moment darüber, was sie mit ihm anfangen sollte. Dann nickte sie ihm kurz zu.
»Wintrow, du musst dich auch umziehen. Wir werden an Bord des Schiffes bleiben, bis…«
Sie wurde plötzlich blass, als ihr die traurige Wahrheit wieder bewusst wurde. Wintrow kannte diesen Blick. Er hatte die Heiler oft begleitet, wenn sie gerufen worden waren, und oft hatten ihre Kräuter und Tinkturen bei den Sterbenden nichts mehr ausrichten können. In diesen Momenten zählte nur noch das, was er für die Sterbenden tun konnte. Sie hob die Hände, die fast wie Klauen verkrampft waren, zupfte sich am Kragen und verzog den Mund, als litte sie Schmerzen. Er fühlte, wie eine Woge aufrichtigen Mitleids für diese Frau ihn überschwemmte. »Ach, Großmutter«, meinte er seufzend und streckte die Hände nach ihr aus. Doch als er vortrat und sie umarmen wollte, ihr mit seiner Berührung etwas von dem Leid abnehmen wollte, trat sie zurück. Sie tätschelte ihn mit ihren Händen und schob ihn
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